Die neue Bundesverfassung garantiert den Schweizer*innen allgemeines und direktes Stimm- und Wahlrecht. Frauen sind jedoch nicht mitgemeint.
Am 7. Februar 1971 stimmten die Schweizer Männer an den Urnen der Verfassungsänderung zu, dass künftig alle Schweizer*innen die gleichen politischen Rechte wie sie haben (65,7 % Ja zu 34,2% Nein). Allerdings ist es vor allem den mutigen und engagierten Schweizer Frauen und ihrem jahrzehntelangem Kampf zu verdanken, dass das Thema immer wieder auf die politische Tagesordnung gebracht und alle Kräfte mobilisiert wurden, um die Mehrheit der Bevölkerung und der Stände zu überzeugen.
Die Etappen dieses langen und steinigen Weges bis zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen in der Schweiz können Sie hier nachlesen.
1848
1868
Den ersten Vorstoss, das Stimmrecht für Frauen einzufordern, wagen die Züricher Frauen. Sie sind die ersten, die in der Schweiz anlässlich der kantonalen Verfassungsrevision das aktive und passive Wahlrecht verlangen – vergebens.
1868
1886
Unter der Führung der Frauenrechtlerin Marie Goegg-Pouchoulin machen 139 Frauen das erste Mal vom Petitionsrecht Gebrauch.
1890
Erwerbstätige Frauen aus den Unterschichten gründen ab den 1880er Jahren lokale Arbeiter*innenvereine, die sich 1890 zum Schweizer Arbeiter*innenverband zusammenschliessen. Der Verband fordert 1893 offiziell erstmals das Stimm- und Wahlrecht für Frauen.
1890
1904
Die Sozialistische Partei (SP) fordert als erste Partei in ihrem Parteiprogramm u. a. die schweizweite Einführung des Frauenstimmrechts und verlangt im selben Jahr im St. Galler Grossen Rat das kantonale Frauenstimmrecht – ohne Erfolg.
1909
Um die Jahrhundertwende organisieren sich Frauen im ganzen Land und bilden verschiedene Frauenvereine für sowie gegen das Frauenstimmrecht. Die beiden wichtigsten sind der Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) unter der Leitung von Helene von Mülinen und der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht (SVF).
1909
1914 - 1918
Während des 1. Weltkrieges kommt die Bewegung aufgrund dringender Probleme ins Stocken. Unter anderem leisten die Frauenverbände die gesamte Sozialfürsorge während des Krieges, da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Sozialversicherungen in der Schweiz gibt.
1915
Im Nationalrat werden in derselben Zeit erstmals zwei Motionen für das eidgenössische Frauenstimm- und -wahlrecht eingereicht. Zu Postulaten abgeschwächt werden sie von den Räten zu Postulaten 1919 an den Bundesrat überwiesen, der sie aber für Jahrzehnte in der Schublade verschwinden lässt.
1915
1919 - 1921
In einigen Kantonen (Genf, Neuenburg, Basel-Stadt, Zürich, Glarus und St. Gallen) kommt es zur Abstimmung über das Frauenstimmrecht, die jedoch alle mit einem negativen Ergebnis enden.
1923
Eine Gruppe von Berner*innen reicht 1923 eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Sie wollen ihr «Stimmrecht in Gemeinde-, Kantons- und Bundesangelegenheiten ausüben». Unter der Berufung auf das Gewohnheitsrecht werden sie jedoch vom Bundesgericht abgelehnt.
1923
Die SAFFA-Schnecke
Im Sommer 1928 findet die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) statt. Im Umzug fährt ein denkwürdiger Wagen mit: eine Schnecke namens «Frauenstimmrecht». Die Organisator*innen werden für die Schnecke stark kritisiert und einige Kritiker*innen sehen diese gar als Zeichen für die politische Unreife der Frauen.
Bildnachweis: Schweizerisches Sozialarchiv, Sozarch_F_Fb-0021-29
1929
Mit einer Rekordzahl von 249 237 Unterschriften (78 840 von Männern, 170 397 von Frauen) reicht der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht 1929 mit Unterstützung weiterer Frauenorganisationen, der SP und der Gewerkschaften auf Bundesebene eine Petition für das Frauenstimmrecht ein. Sie bleibt folgenlos.
Die sieben Aufrechten nach vollbrachter Tat
Gruppenbild von sieben Frauen der Eidg. Frauenstimmrechtspetition 1929 (Fotografie eines Zeitungsprints)
Bildnachweis: Schweizerisches Sozialarchiv, Sozarch_F_Fd-0005-01
1930er
– In den 1930er-Jahren setzt sich mit der Wirtschaftskrise und dem Erstarken politisch konservativer und faschistischer Strömungen ein Gesellschaftsmodell durch, welches die Frauen wieder an den Herd verbannt. Noch während des Krieges formieren sich Gegner*innen des Frauenstimmrechts aus dem Bürgertum und gründen Organisationen wie das Aktionskomitee gegen das Frauenstimmrecht oder die Schweizer Liga gegen das politische Frauenstimmrecht.
Schon gewusst?
1948 werden in der ganzen Schweiz Feiern zum 100-jährigen Bestehen der Bundesverfassung durchgeführt und die «Schweiz, ein Volk von Brüdern» gefeiert. Die Schweizer Frauenverbände erklären das Motto um, zu einem «Volk von Brüdern ohne Schwestern» und überreichen dem Bundesrat symbolisch eine Europakarte mit einem schwarzen Fleck in der Mitte. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits alle europäischen Länder ausser der Schweiz, Liechtenstein und Portugal das Frauenwahlrecht eingeführt.
1951
Der Bundesrat publiziert 1951 einen Bericht, in dem er angesichts der kantonalen Misserfolge eine eidgenössische Abstimmung über das Frauenstimmrecht als verfrüht erachtet.
1957
Das Rütli der Schweizer Frau
Am 5. März 1957 ereignete sich in Unterbäch ein zukunftsweisender Schritt zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Gegen den Willen der Landesregierung erteilte der Gemeinderat den Frauen ein einmaliges Stimmrecht. So durften die Unterbächnerinnen als allererste Frauen der Schweiz abstimmen – dies 14 Jahre vor Einführung des Frauenstimmrechts. Aus diesem Grund wird Unterbäch auch das «Rütli der Schweizer Frau» genannt. Dies in Anlehnung an das Rütli (Rütliwiese), dem Ort, wo der Sage nach das Bündnis der Urkantone der Schweiz geschlossen wurde, der so genannte Rütlischwur.
1957
1958
Die politische Grundhaltung in der Schweiz bleibt trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1950er-Jahren weiterhin konservativ. Nur Basel-Stadt ermächtigt 1958 seine drei Bürgergemeinden zur Einführung des Frauenstimmrechts. Am 26. Juni 1958 stimmen in Riehen erstmals die Frauen auf Gemeindeebene ab.
1959
Inmitten des Kalten Krieges will der Bundesrat das Zivilschutzobligatorium für Frauen einführen. Schweizerische Frauenverbände wehren sich daraufhin vehement gegen die neuen Pflichten ohne neue Rechte für die Frauen. Um das Zivilschutzprojekt zu retten, legt der Bundesrat rasch einen Entwurf zur Einführung des Frauenstimmrechts vor. Am 1. Februar 1959 wird das Frauenstimm- und -wahlrecht in der eidgenössischen Volksabstimmung mit 654 939 Nein- (66,9%) zu 323 727 Ja-Stimmen (33,1%) abgelehnt.
1959
Ja oder Nein
Eine Auswahl an Plakaten, Postkarten und Briefmarken von Befürworter*innen und Gegner*innen des Frauenstimmrechts auf kantonaler und eidgenössischer Ebene.
Bildnachweis: Schweizerisches Sozialarchiv
Schon gewusst?
Während der Volksabstimmung, durch welche der Zivilschutz für alle Schweizer Frauen obligatorisch werden soll, ereignet sich 1957 ein Skandal: Die Frauen der Walliser Gemeinde Unterbäch gehen – unterstützt vom Gemeinderat – abstimmen. Der Gemeinderat erklärt, dass laut Verfassung die Gemeinden gesetzlich zuständig seien, die Stimmregister aufzustellen. Daran beteiligen sich 33 der 84 potentiell stimmberechtigten Unterbächer Frauen. Katharina Zenhäusern, die Ehefrau des Gemeindepräsidenten von Unterbäch, ist die erste Schweizerin überhaupt, die eine Stimmkarte in eine helvetische Abstimmungsurne legt. Da die Frauenbeteiligung damals noch keine rechtliche Grundlage hat, müssen die Frauenstimmen, die in einer separaten Urne gesammelt werden (die Männerstimmen bleiben so gültig), annulliert werden. Trotzdem schreibt diese erste eidgenössische Frauenabstimmung Schweizer Geschichte, weil sie einen wichtigen Anstoss für die spätere offizielle Einführung des Frauenstimmrechtes gab.
1959 - 1970
Auf kantonaler Ebene können die Befürworter*innen des Frauenstimmrechts dennoch Erfolge verzeichnen: Am 1. Februar 1959 nimmt der Kanton Waadt als erster das Frauenstimmrecht an. Es folgen die Kantone Neuenburg (27. September 1959) und Genf (6. März 1960) sowie als erste Kantone der Deutschschweiz Basel-Stadt (26. Juni 1966) und Basel-Landschaft (23. Juni 1968). Ebenfalls noch vor der Einführung des eidgenössischen Frauenstimmrechts wird den Frauen in den Kantonen Tessin (19. Oktober 1969), Wallis (12. April 1970), Luzern (25. Oktober 1970) und Zürich (15. November 1970) das Stimm- und Wahlrecht auf kantonaler Ebene erteilt.
1968
Während der Studierendenproteste, in denen weltweit junge Menschen für Menschenrechte und gegen Diskriminierung auf die Strasse gehen, entschliesst sich der Bundesrat die Europäische Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen – allerdings unter Ausschluss des Frauenstimmrechts. Die fortschrittlichen Frauenverbände befürchten eine weitere Verschleppung der Gleichberechtigung und protestieren lautstark.
1968
1969
Am 1. März 1969 findet der Marsch auf Bern statt. 5 000 Frauen und Männer demonstrieren vor dem Bundeshaus für das Frauenstimmrecht und stimmen der Resolution von Emilie Lieberherr mit grossem Applaus zu:
Zitat
«Die hier versammelten Schweizerinnen fordern das volle Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer und kantonaler Ebene und in den Gemeinden. Die Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten darf erst unterzeichnet werden, wenn bezüglich des Stimm- und Wahlrechts kein Vorbehalt mehr nötig ist.
Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Sämtliche vorgeschlagenen Vorbehalte stellen die Glaubwürdigkeit unseres Landes als Rechtsstaat und Demokratie in Frage.
Wir fordern deshalb alle gutgesinnten Politiker und Stimmbürger auf, das Frauenstimm- und Wahlrecht im Bund, in den Kantonen und in allen Gemeinden so rasch als möglich zu verwirklichen.» (Emilie Lieberherr, 1969)
Kurz und bündig werdet mündig
Demonstration der Frauen-Befreiungsbewegung (FBB), der Basler und der Zürcher Stimmrechtsfrauen am 1. Februar 1969
Bildnachweis: Schweizerisches Sozialarchiv, Sozarch_F_Fd-0003-14
1971
Der Bundesrat entschliesst sich, mit einer neuen Volksentscheidung Klarheit zu schaffen. Am 7. Februar 1971 – nach einem mehr als 100-jährigen Kampf der Frauenbewegung – erhalten die Schweizer Frauen endlich das Wahl- und Stimmrecht. Infolge der Abstimmung wird Artikel 74 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 angepasst. Dank diesem Sieg können sich die Schweizer*innen ins Bundesparlament wählen lassen.
Schon gewusst?
Im Zuge der Entwicklung auf Bundesebene führen die meisten Kantone zeitgleich mit dem eidgenössischen Frauenstimmrecht oder kurz danach auch das kantonale und teilweise das kommunale Frauenstimmrecht ein ( 7.2.1971: Aargau, Freiburg, Schaffhausen, Zug, 1971-1972: Glarus, Solothurn, Bern, Thurgau, St. Gallen, Uri, Schwyz, Graubünden, Nidwalden, Obwalden). Im Kanton Jura wird das Frauenstimmrecht direkt mit seiner Gründung 1977 eingeführt. Manche Kantone verzögern die Einführung des Frauenstimmrechts bis in die 1980er-Jahre. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden entscheidet erst 1989 ein knappes Handmehr an der Landsgemeinde zugunsten des Frauenstimmrechts. Im Kanton Appenzell Innerrhoden braucht es sogar einen Bundesgerichtsentscheid: Am 27. November 1990 entscheidet das Bundesgericht, dass auch in Innerrhoden die Frauen ab sofort stimmberechtigt waren; am 28. April 1991 können die Frauen des Kantons Appenzell Innerrhoden erstmals kantonal abstimmen.
Quellen:
- Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (2001): Frauen Macht Geschichte. Frauen- und gleichstellungspolitische Ereignisse in der Schweiz 1848–1998.
- Ruckstuhl, Lotti (1986): Frauen sprengen Fesseln. Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz. Bonstetten: Interfeminas Verlag
- «Frauen und Wahlen» – Aktuelles Dossier der Bundeskanzlei anlässlich der Schweizer Parlamentswahlen 2019
- Die Bundesversammlung: Frauenstimmrecht in der Schweiz: 100 Jahre Kampf.