Anfänge des Frauenstimmrechts in der reformierten Kirche

Jahrzehnte vor der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler und kantonaler Ebene gab es in der Schweiz Kirchen und Kirchgemeinden, die ihren weiblichen Mitgliedern das Stimmrecht gaben. Als allererste Kirche in der Schweiz führte die Eglise évangélique libre de Genève 1891 das Frauenstimmrecht ein. Die Eglise évangélique libre war in den 1840er-Jahren aus der Genfer Erweckungsbewegung entstanden. In der Revision ihrer Constitution erwähnte sie 1891 explizit, dass ihre Assemblée, aus allen Mitgliedern – „frères et soeurs“ – bestehe. Sie alle wählten die pasteurs, anciens et diacres in ihre kirchlichen Ämter. Damit hatten die Frauen erstmals in der Schweiz in kirchlichen Angelegenheiten das aktive Stimmrecht erlangt.

Im Kanton Zürich gab es 1902 einen Vorstoss, um das kirchliche Frauenstimmrecht einzuführen. Emma Boos-Jegher brachte die Frage auf. Sie hatte unter anderem 1887 zu den Gründerinnen des Zürcher Frauenbundes zur Hebung der Sittlichkeit gehört, dem heutigen Evangelischen Frauenbund Zürich, einem Mitgliedverband der Evangelischen Frauen Schweiz. In ihrer Funktion als Präsidentin der Union für Frauenbestrebungen, reichte Boos-Jegher eine Eingabe an den Kantonsrat des Kantons Zürich zum Stimmrecht von Frauen in kirchlichen Angelegenheiten ein. Damals wurde das Kirchengesetz des Kantons Zürich überarbeitet. In diesem Zusammenhang argumentierte Boos-Jegher für die Einführung des Frauenstimmrechts in der Zürcher Landeskirche. Die Zürcher Landeskirche meldete anschliessend in den 1910er-Jahren bei der Zürcher Regierung ihren Wunsch nach Einführung des Frauenstimmrechts an. Das Begehren versandete allerdings während des Ersten Weltkriegs und 1923 lehnten die Stimmbürger im Kanton Zürich ein Gesetz ab, das den Frauen das Wahlrecht in Kirchen-, Schul- und Armenpflegen geben wollte.

Anfang der 1930er gab es einen neuen Anlauf, um das kirchliche Frauenstimmrecht in Zürich einzuführen. Inzwischen hatten die Landeskirchen in Genf, Waadt, Baselstadt, Bern, Aargau, Thurgau und Graubünden Regelungen zum kirchlichen Frauenstimmrecht erlassen. In einigen Kantonalkirchen hatten die Frauen das aktive und das passive kirchliche Frauenstimmrecht erreicht, in anderen nur das aktive Stimmrecht und in wieder anderen wie Bern, war es den einzelnen Kirchgemeinden freigestellt, ob sie ihren weiblichen Mitgliedern das Stimmrecht gewähren wollten. Definitiv eingeführt wurde das kirchliche Stimm- und Wahlrecht für Frauen im Kanton Zürich allerdings erst 1963, acht Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene.

Edith Siegenthaler, Dr. phil. hist., Leiterin Geschäftsstelle Evangelische Frauen Schweiz EFS

Quellen und Literatur:

  • Brocher, Emile: Notice sur l’église évangélique libre de Genève publiée à l’occasion du cinquantenaire de sa fondation. Genève 1899.
  • Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF): Frauen Macht Geschichte 2.2. Politische Teilrechte für Frauen in Kantonen und Gemeinden. www.ekf.ch
  • Locher, Albert: Vom Frauenstimmrecht insbesondere in kirchlichen Angelegenheiten. Zürich 1903.