Antoinette Quinche (1896-1979)
Antoinette Quinche ist die erste promovierte Juristin und Anwältin im Kanton Waadt und eine prägende Persönlichkeit der kantonalen und nationalen Frauenstimmrechtsvereine. 1957 geht sie für das Frauenstimm- und -wahlrecht bis vor Bundesgericht. Die Beschwerde wird abgelehnt, aber in ihrem Heimatkanton trägt die jahrzehntelange Arbeit Früchte: 1959 führt die Waadt als erster Kanton das Frauenstimmrecht in kantonalen Angelegenheiten ein.
Quelle: EKF, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen
Nach nur einem Jahr an der Töchterschule in Lausanne wechselt Antoinette Quinche an das kantonale Gymnasium. Dort ist sie das einzige Mädchen, denn das Gymnasium ist Jungen vorbehalten. Doch ihr Vater erreicht ihre Zulassung. Der Besuch des kanto-nalen Gymnasiums ist Voraussetzung für ein späteres Universitätsstudium, und nach der Matura studiert sie ab 1915 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Lausanne. 1923 sind sie und Linette Combe die ersten Frauen im Kanton Waadt, die als Juristinnen promovieren. Nach einem dreijährigen Volontariat bei einem Anwalt erwirbt Antoinette Quinche das Anwaltspatent und eröffnet eine eigene Kanzlei. Sie vertritt vorwiegend Frauen bei Scheidungen, Vaterschaftsnachweisen oder Arbeitsunfällen. 1953 trägt sie entscheidend dazu bei, dass Frauen nach der Heirat mit einem Ausländer die schweizerische Nationalität nicht mehr verlieren. Sie erwirkt auch eine Verbesserung der Haftbedingungen von Frauen. Neben ihrer Berufstätigkeit bietet sie zudem im Auftrag der Union des femmes mit Linette Combe eine unentgeltliche Rechtsberatung für Frauen an.
Antoinette Quinche lebt gemeinsam mit ihrer Schwester bis zum Tod ihrer Eltern im Elternhaus. 1936 schliesst sich die spanische Frauenrechtlerin Clara Campoamor, die seit dem Spanischen Bürgerkrieg im Exil lebt, der Wohngemeinschaft an. Im Jahr 1962 übernehmen die Schwestern die Sorge für eine 2-jährige Pflegetochter, deren verstorbene Mutter mit ihnen befreundet war.
Antoinette Quinche übt während vielen Jahren öffentliche Tätigkeiten und Ämter aus. Sie tritt der Parti radical-démocratique suisse (heute FDP) bei, ist Mitglied der kantonalen Parteileitung und gründet die FDP-Frauengruppe Lausanne; 1932 bis 1935 präsidiert sie den Schweizerischen Verband der Akademikerinnen.
Einen besonderen Stellenwert unter ihren Aktivitäten nimmt ihr Engagement für die politische Gleichberechtigung der Frauen ein. Bereits als junge Frau wird sie in London mit ihrer aus Grossbritannien stammenden Mutter Zeugin einer Protestaktion der Suffragetten. Jahre später ist sie selbst eine Vorkämpferin für die politischen Rechte der Frauen. 1927 tritt sie dem Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF) bei, 1928 wird sie Mitglied im Zentralvorstand und amtiert von 1945 bis 1951 als Vizepräsidentin. Ab 1930 hat sie den Vorsitz der Lausanner Gruppe inne, ab 1932 präsidiert sie zusätzlich die Association vaudoise pour le suffrage féminin. Bis 1961 vertritt sie den SVF auch in der International Alliance of Women.
1929 engagiert sich Antoinette Quinche für die Petition für das Frauenstimmrecht. Sie ist Präsidentin des Waadtländer Aktionskomitees und Mitglied im Schweizerischen Aktionskomitee. Die Frauen verteilen Flugblätter, organisieren Vorträge und sammeln Unterschriften. Der Einsatz der Waadtländerinnen zahlt sich aus: 1/7 der schweizweit gesammelten Unterschriften stammt aus dem Kanton Waadt. Trotz der beeindruckend hohen Zahl von 249’237 Unterschriften bleibt die Petition ohne direkte Folgen.
Nach dem 2. Weltkrieg gründet der SVF das Schweizerische Aktionskomitee für das Frauenstimmrecht. Antoinette Quinche übernimmt das Präsidium und organisiert zahlreiche Aktionen. Als 1948 die Einhundertjahrfeier des Bundesstaates unter dem Motto «Schweiz, ein Volk von Brüdern» stattfindet, organisiert das Aktionskomitee eine Veranstaltung zur Benachteiligung der Frauen.
Gemeinsam mit 1’413 Mitstreiterinnen aus den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf verlangt Antoinette Quinche 1956 den Eintrag ins Stimmregister ihrer Gemeinden (vgl. auch Folie und Skript zu Elsa Franconi-Poretti und Katharina Zenhäusern). Sie berufen sich auf die Rechtsgleichheit in der Bundesverfassung. Mit dieser juristischen Auslegung wollen sie das Frauenstimmrecht ohne Verfassungsänderung ermöglichen. Nachdem die Gemeinden diese Forderung ablehnen, klagt Antoinette Quinche 1957 bis vor Bundesgericht. Aber auch das Bundesgericht weist die Beschwerde mit der Begründung ab, das Gewohnheitsrecht wiege höher als die in der Verfassung verankerte Rechtsgleichheit.
Im Vorfeld der ersten eidgenössischen Abstimmung über das Frauenstimmrecht leistet Antoinette Quinche Überzeugungsarbeit bei Waadtländer Politikern. Dank ihrem Engagement stimmen die Männer des Kantons Waadt am 1. Februar 1959 nicht nur über das eidgenössische, sondern gleichzeitig auch über das kantonale Frauenstimm-recht ab. Während die Vorlage auf nationaler Ebene abgelehnt wird, stimmt der Kanton Waadt der politischen Gleichberechtigung der Frauen zu und ist damit der erste Kanton in der Schweiz, der das Frauenstimm- und -wahlrecht einführt.
Nach diesem Erfolg zieht sich Antoinette Quinche aus der Öffentlichkeit zurück, ihren Beruf als Anwältin übt sie aber noch bis ins hohe Alter aus. Sie stirbt 1979 mit 83 Jahren (Quelle: EKF).
„Unsere Demokratie ist sehr alt und im Wesentlichen männlich geprägt. Um sie zu verändern, brauchte es grosses Fingerspitzengefühl und Argumente, die in den Augen der Demokraten zählen. Daher haben wir immer betont, wie ungerecht dies gegenüber den Frauen ist.“ Antoinette Quinche, 1971