In der Wiege der Demokratie

Am 11. Januar 1968 erblickte ein Mädel in einem kleinstädtischen Spital das Licht dieser Welt. Die Zügers suchten seit langem einen Vornamen fürs Kind. Fast alle Familienmitglieder erwarteten die Geburt eines Knaben. Peterchen sollte das Kind heissen. Wie man das neugeborene Mädchen nennen könnte, schien momentan als ein Kummer. In den Sohn/Enkel setzten sie ihre Erwartungen in die Verlängerung des schweizerischen Familienstammes Züger. Meine Grossmutti kam auf eine Idee, einen Vornamen für mich, im Kalender zu suchen… So beginnt meine Lebensgeschichte.

Ich wurde auf den Namen Honorata Bernadeta Züger im Zivilamt registriert und in der römisch-katholischen Kirche getauft. Meine Wiege stand in Polen. Meine Schweizer Heimatgemeinde ist Altendorf, SZ.

Danuta Züger (meine Mutter), eine junge Kellnerin, verliebte sich eben in einen Polen. Ihre (internationale) Liebe hatte von Anfang an keine reelle Chance. Was durften damals (vor 1971) stimmrechtslose Frauen tun? Von wem waren sie abhängig? Was für Rechte hatten sie vor kurzem noch in der Schweiz. Durften sie einen Ausländer lieben und ihn heiraten…aber natürlich; nur trugen sie dann die rechtsstaatlichen Konsequenzen. Meine Mutti heiratete nie meinen (polnischen) Vater. Wenn sie es gemacht hätte, hätte ich kein Recht mehr darauf, einen Schweizer Pass zu besitzen*. Dank ihres Entschlusses erhielt ich zwei Staatsangehörigkeiten. Ich bin Doppelbürgerin: Schweizerin und Polin. Meine Mutter war mutig und zukunftsorientiert.

Ich bin stolz darauf, eine Auslandschweizerin zu sein. Ich wuchs in Polen auf, wo das Wahlrecht den Polinnen schon in die Wiege gelegt worden ist.

Doppelte Herkunft, meine Kindheit, Schule, Reisen in die Schweiz etc. gaben mir Selbstständigkeit, Kraft, Freiheit und Objektivität. Das Ganze stärkte mich nur und bereitete mich auf meine Ständerats-Kandidatur im Kanton Schwyz vor. Unwahrscheinlich: als ich geboren wurde (1968), gab es noch keine Frauenstimmrechte in der demokratischen neutralen Schweiz!  Als 51-jährige Frau durfte ich 2019 meinen Wahlvorschlag in die Staatskanzlei in Schwyz einreichen. Unter sechs kandidierten Personen tauchte ich als einzige Frau auf. Ich bin die erste Auslandschweizerin, die im Kanton Schwyz für den Ständerat kandidierte. Ich bin Vorläuferin und Pionierin für andere Schweizer Frauen. Ich setze mich für die Gleichstellung von Frau und Mann im Alltag und in der Politik ein. Hoffentlich wird meine Tätigkeit von den Schweizerinnen geschätzt werden. Egal, wo wir leben; in der Schweiz, in Polen, überall in der Welt, vergessen wir aber nie, dass die tapferen Weiber vor knapp einem halben Jahrhundert für unsere demokratischen Wahl-, Stimm- und Selbstbestimmungsrechte kämpften.

Die Demokratie (poln. demokracja f; it. democrazia f; fr. la démocratie f; rätorom. la democrazia) war und bleibt ja Femininum.

* Bis Ende 1952 verloren Schweizerinnen bei der Ehe mit einem Ausländer automatisch ihr Schweizer Bürgerrecht.