Individualbesteuerung fördert Gleichstellung

 

Die in unserer Verfassung verankerten Besteuerungsgrundsätze basieren auf der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Aktuell wird die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit von Ehepaaren und Paaren, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, anders bewertet als die von Konkubinats-Paaren und Einzelpersonen. Das aktuelle Steuersystem kann für Paare, die als Einheit taxiert werden, von Nachteil sein, denn sie müssen mehr Steuern bezahlen als ein vergleichbares Konkubinats-Paar. Dies gilt vor allem dann, wenn beide Partner einer lukrativen Tätigkeit nachgehen. Durch eine Umstellung auf Individualbesteuerung würden diese steuerlichen Nachteile von zusammen veranlagten Paaren endgültig beseitigt.

Der Zivilstand einer Person darf keinen Einfluss auf deren steuerliche Behandlung haben. So lautet eines der Ziele der Volksinitiative „Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)“, die am 8. März 2021 anlässlich des Internationalen Frauentags in Bern präsentiert wurde. Die Frauen der FDP haben sich mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammengetan, um ein gerechteres Steuersystem zu etablieren, Abhilfe gegen die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft zu schaffen und Gleichbehandlung zu fördern.

Das aktuelle Steuersystem sorgt dafür, dass insbesondere Frauen nach dem Mutterschutzurlaub nicht mehr in die Arbeitswelt zurückkehren. Aufgrund einer höheren Steuerprogression und zusätzlicher Kosten für die Kinderbetreuung reduzieren viele Frauen ihre Arbeitszeit oder sind dazu gezwungen, komplett aus dem Beruf auszusteigen.

In der Folge stehen die Bildung und die wertvolle Berufserfahrung dieser Frauen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Ein Wechsel des Steuersystems würde folglich nicht nur eine Ungerechtigkeit beheben, sondern auch dem seit vielen Jahren zu beobachteten Fachkräftemangel entgegenwirken. Darüber hinaus haben Personen, die über längere Zeit aus der Arbeitswelt ausscheiden, nahezu keine Chance mehr, Karriere zu machen. Die Individualbesteuerung soll steuerliche Anreize dafür schaffen, einer lukrativen Tätigkeit nachzugehen und für Chancengleichheit in der Arbeitswelt sorgen.

Darüber hinaus weist die Initiative auch auf Vorteile für die Finanzierung unserer Sozialwerke hin: Wenn mehr Menschen arbeiten und Beiträge bezahlen, sorgt dies ebenfalls für die Sicherstellung sozialer Sicherheit.

Die Initiative ist hochaktuell, denn die Frauen und Männer in unserem Land müssen sich frei entscheiden können, in welchem Familienmodell sie leben und wie sie sich erwerbsmässig organisieren wollen, um ihr Leben zu finanzieren und sich um ihre Familie zu kümmern, ohne für bestimmte Entscheidungen steuerlich bestraft zu werden. Auch die Tatsache, dass das Familienmodell, bei dem der Mann als Familienoberhaupt das Geld nach Hause bringt und die Frau sich in erster Linie um den Haushalt kümmert, als überholt gilt, müsste sich im Steuerrecht widerspiegeln.

Im Jahr 2016 hat das Schweizer Stimmvolk eine Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe abgelehnt. Damals wurde bereits während der Abstimmungskampagne kritisiert, dass sich die Initiative zu stark auf die traditionelle Ehe stütze. Wäre die Abstimmung anders ausgegangen, wäre die Einführung einer Individualbesteuerung heute nicht möglich.

Mit dem 50igsten Jubiläum des Frauenstimmrechts ist nun wirklich die Zeit für ein einfacheres, transparenteres und gerechteres Steuersystem gekommen, bei dem jede und jeder unabhängig vom Zivilstand, vom gelebten Familienmodell und von der Erwerbstätigkeit behandelt wird.

Autorin: Anna Giacometti, FDP-Nationalrätin und Mitglied des Initiativkomitees Individualbesteuerung