„…damit wir uns mit der Geschichte unserer Demokratie auseinandersetzen!“
Ein weiteres Buch zu «50 Jahre Frauenstimmrecht» ist druckfrisch erschienen im Limmat Verlag: 25 Frauen äussern sich zu Demokratie, Macht und Gleichberechtigung! Eine Kulturwissenschaftlerin und eine Journalistin haben diese Zeitzeugnisse zusammengetragen, Isabel Rohner in Berlin und Irène Schäppi in Zürich. Welche Absichten verfolgen sie mit diesem Buch, wie haben sie die Stimmen ausgewählt, warum haben sie das Buch zu zweit erarbeitet? Cécile Speitel hat mit den Herausgeberinnen via Zoom gesprochen.
Cécile Speitel: Isabel Rohner und Irène Schäppi, wie haben Sie sich für dieses Buch gefunden?
Isabel Rohner: Für mich war es wichtig, eine patente Partnerin zu finden, die ganz anders aufgestellt ist als ich, die nicht aus der Geschichtsforschung kommt, sondern aus dem Journalismus. Deshalb habe ich mich an Irène Schäppi gewendet.
CS: Und wie haben Sie, Irène Schäppi, reagiert?
Irène Schäppi: Ich freute mich sehr über ihre Anfrage, gleichzeitig hatte ich Riesenrespekt. Ich gelte in der Schweizer Journalismus-Szene nicht als Expertin für Frauenthemen, weil ich als Journalistin hauptberuflich Lifestyle-Themen betreue, aber privat habe ich mich immer dafür interessiert. An «50 Jahre Frauenstimmrecht» mitzuarbeiten, war und ist eine Möglichkeit, meinem Umfeld zu zeigen, dass noch anderes in mir steckt.
Isabel Rohner: Ich war der festen Überzeugung, ein solches Projekt darf nicht in der Academia stecken bleiben. Das Buch brauchte ein Herausgeberinnen-Team, das eine grosse Bandbreite abdeckt, weil feministische Themen, die Geschichte der Frauenbewegung, die Beschäftigung mit Demokratie und Frauenrechten, alle Frauen in der Schweiz betrifft. Wir wollten unsere beiden Stärken zusammenbringen.
CS: Sie haben aus vielen möglichen Namen 25 Frauen ausgewählt. Wie sind Sie mit Ihrem Anspruch auf eine grosse Bandbreite vorgegangen?
Irène Schäppi: Wir haben beide Vorschläge gemacht und uns aufgrund unserer sehr unterschiedlichen Hintergründe sowie Schwerpunkten dabei sehr gut ergänzt. Wir haben uns lange über jede einzelne Person unterhalten. Uns war wichtig, «jede» Frau an Bord zu bekommen – ich versuche das mal pointiert auszudrücken: von der Oma bis zur Enkelin, egal welches Berufsfeld, welcher kultureller Hintergrund. Darum haben wir auch bestimmte Celebrities angefragt wie Christa Rigozzi, die frühere Miss Schweiz.
Isabel Rohner: Wir haben uns für die Bereiche Recht, Wirtschaft, Kultur, Politik, Journalismus und Diplomatie entschieden. Ich gestehe: Einige Frauen, die Irène vorgeschlagen hat und die wir jetzt im Buch haben, kannte ich gar nicht, weil ich seit zwanzig Jahren nicht mehr in der Schweiz lebe – und Irène ging es bei einigen meiner Vorschläge aus Wissenschaft und Wirtschaft genau so. Ich bin Irène enorm dankbar für diese Entdeckungen, z.B. Lea Lu, die grossartige Sängerin und Songwriterin, von der ich Fan geworden bin und die für unser Buch extra das Lied «We Have A Voice» geschrieben hat.
CS: Die Moderatorin Christa Rigozzi stammt aus dem Tessin, die Verwaltungsrätin und Wissenschaftlerin Adrienne Corboud Fumagalli und ihre Tochter Clelia, Juristin – sie reden über Normen, Karriere und Familie – , kommen aus der Suisse Romande…
Irène Schäppi: Wir haben sehr darauf geachtet, Frauen aus allen Landesteilen anzufragen. Aus Graubünden stammt Fanni Fetzer, die Direktorin vom Kunstmuseum Luzern. Es sind auch Personen dabei, die Migrationshintergrund haben oder mit mehreren Nationalitäten.
CS: In den verschiedenen Portraits, Gesprächen oder Text-Beiträgen ist mir das Wort «Vorurteil» oftmals aufgefallen. Die Frauen unterschiedlicher Generationen stellen fest, wie häufig Vorurteile in der Gesellschaft noch vorhanden sind gegenüber ihrem Auftreten, ihren Leistungen.
Isabel Rohner: Ja, Vorurteile gegenüber Frauen werden in vielen Beiträgen thematisiert. Ein anderer Aspekt, der mir bei unseren Begegnungen aufgefallen ist, ist Humor. Viele Frauen, gerade die Pionierinnen, die erste Bundesrätin Elisabeth Kopp oder die erste Bundesrichterin Margrith Bigler-Eggenberger, verfügen über einen ausgeprägten Humor. Bei den persönlichen Treffen haben wir auch nachgefragt, ob ihnen der Humor auf ihrem Weg geholfen hat – und fast alle haben dies bejaht. Dieser Druck, der auf diesen ersten Frauen lastete, der war ja nochmals viel, viel stärker als der heutige Druck, den Frauen immer noch spüren. Aber allein zu sein, immer angegriffen zu werden, immer als anders wahrgenommen zu werden, immer als unterschiedlich zur Norm bewertet zu werden – Margrit Bigler-Eggenberger zum Beispiel hat als Bundesrichterin erlebt, dass Kollegen nicht mit ihr gesprochen haben, weil sie eine Frau war – das sind Erfahrungen, die nur ganz starke Persönlichkeiten aushalten konnten. Und Persönlichkeiten mit Humor.
Irène Schäppi: Auch was Frauen heute noch aushalten müssen, hat mich aufgewühlt, z.B. Nathalie Wappler, die Direktorin Schweizer Radio und Fernsehen, im Vergleich dazu, wenn ein Mann an ihrer Stelle sitzen würde – er würde nicht in diesem Ausmass kritisiert. Oder wie Lea Lou, die von der SVP als Kampagnengesicht missbraucht worden ist, das wäre einem männlichen Sänger niemals passiert, ich glaube nicht, dass Baschi oder Crimer damit hätten rechnen müssen. Ich finde es heftig, dass in der Schweiz, die sich fortschrittlich und betont demokratisch gibt, die «White Old Men» so stark verankert sind. Die Arbeit an diesem Buch hat mich ein bisschen aus der Bubble auftauchen und die Realität krass wahrnehmen lassen. Ich selbst bin durch die Arbeit an diesem Buch noch politischer geworden.
CS: Sie haben das Buch Ihren Müttern und Grossmüttern gewidmet…
Isabel Rohner: Ja, sehr bewusst. Wir verdanken unseren Müttern und Grossmüttern die Möglichkeiten, die wir heute haben. Wir wollen das Buch aber tatsächlich allen Frauen widmen. Wir wollten ein Buch machen, das nicht nur in feministischen Vereinen gelesen wird, sondern von einer breiten Öffentlichkeit. Das Buch nimmt die Leserinnen und Leser mit in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Frauen in der Schweiz. Frauenrechte gehen wirklich alle an, Frauen wie Männer. Und Frauen ganz besonders sollten sich mit der Geschichte unserer Demokratie in der Schweiz auseinandersetzen, mit unseren Lebensbereichen, wo es immer noch eine grosse Rolle spielt, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Es betrifft wirklich alle, ob wir wollen oder nicht.
Irene Schäppi: Ich finde zudem, unser Buch inspiriert zum Lesen und sich Weiterbilden, dient aber auch als Nachschlagewerk oder einfach, um darin zu schmökern und Entdeckungen zu machen, wie etwa die Comics von Serpentina Hagner oder eindrückliche Zitate.
Isabel Rohner: Was uns wichtig war: Wir haben viele der Frauen auch nach ganz konkreten Tipps gefragt für den Alltag, für beruflichen Erfolg, für durchsetzungsfähiges Handeln in Männerrunden, Frauen aus der Wirtschaft wie Bea Knecht, aus der Filmbranche wie Petra Volpe oder aus der Politik wie Viola Amherd und Samira Marti. Viele unserer Beiträgerinnen haben aus ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld Empfehlungen zusammengestellt, die sie jüngeren Frauen weitergeben wollen. Die Leserinnen sollen konkrete Ermutigungen finden, um die Zukunft zu gestalten und sie zu verändern.
«Zeigt Mut. Werdet Expertinnen. Nutzt Werkzeuge. Kommuniziert direkt. Übt Resilienz.» Bea Knecht, Unternehmerin
«Die Geschichte der Frauen ist keine kleine Nebengeschichte. Das ist eine grosse Geschichte, die viel aussagt über unser Land.» Petra Volpe, Regisseurin
«Als ich Clownin werden wollte, war der meistgehörte Satz: Männer sind komisch, Frauen sind tragisch. Biologisch bedingt!» Gardi Hutter, Clownin
Die Herausgeberinnen
Dr. Isabel Rohner wurde 1979 in St. Gallen geboren. Sie studierte in Zürich und Köln Germanistik, Romanistik und Philosophie und promovierte in Giessen über die Werkrezeption der feministischen Pionierin Hedwig Dohm (1831–1919). Zusammen mit Nikola Müller gibt sie die Edition Hedwig Dohm heraus. Sie ist zudem die Autorin der Dohm-Biografie «Spuren ins Jetzt» sowie Herausgeberin und Initiatorin des Sammelbandes «100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht! … und weiter?» (beides Ulrike Helmer Verlag) über das Jubiläum in Deutschland. Zusammen mit der Politphilosophin Dr. Regula Stämpfli ist sie Host des wöchentlichen feministischen Podcasts «Die Podcastin».
Irène Schäppi, geboren 1978 in St. Gallen, hat an der Universität Zürich Germanistik und Publizistik studiert und leitet seit 2009 das Beauty-Ressort von «20 Minuten». Damit gehört Irène Schäppi zu den wichtigsten Vertreterinnen des Schweizer Lifestyle-Journalismus. Als Frau für die Promi-Interviews – darunter unter anderen Hollywoodikone und Politaktivistin Jane Fonda – und internationale Beauty- sowie Lifestylereportagen ist sie bestens vernetzt, analog wie digital.
50 Jahre Frauenstimmrecht – 25 Frauen über Demokratie, Macht und Gleichberechtigung, Herausgeberinnen Isabel Rohner / Irène Schäppi
Mit Porträts, Gesprächen und Beiträgen von Viola Amherd, Kathrin Bertschy, Margrith Bigler-Eggenberger, Adrienne Corboud, Fanni Fetzer, Fina Girard, Serpentina Hagner, Gardi Hutter, Cloé Jans, Anne-Sophie Keller, Bea Knecht, Elisabeth Kopp, Zita Küng, Lea Lu, Andrea Maihofer, Samira Marti, Christa Rigozzi, Ellen Ringier, Isabel Rohner, Irène Schäppi, Christine Schraner Burgener, Regula Stämpfli, Katja Stauber, Petra Volpe und Nathalie Wappler
Erschienen im Limmat-Verlag, November 2020
Andrea Maihofer und Zita Küng mit ihren Beiträgen sind Mitbegründerinnen und Vorstandsmitglieder vom Verein CH2021.
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