Katharina Zenhäusern (1919-2014)
Die Walliserin Katharina Zenhäusern und 32 weitere Frauen stimmen 1957 an der Urne über die Zivilschutzpflicht für Frauen ab. Da den Schweizer Frauen die politischen Rechte noch immer vorenthalten werden, handelt es sich um einen Akt des zivilen Ungehorsams. Die Protestaktion in Unterbäch erregt Aufmerksamkeit über die Landesgrenzen hinaus.
Quelle: EKF, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen
Am 3. März 1957 findet die eidgenössische Abstimmung über die «Einführung der obligatorischen Schutzdienstpflicht weiblicher Personen» statt. Die Schweizer Männer stimmen über eine Vorlage ab, die ausschliesslich Frauen betrifft. Frauenrechtlerinnen und Frauenorganisationen sind empört und protestieren: «Keine neuen Pflichten ohne Rechte!».
Am Abend des 2. März 1957 legt Katharina Zenhäusern dann in Unterbäch als erste Frau überhaupt einen Stimmzettel in eine Schweizer Abstimmungsurne. Zum Zeitpunkt der Abstimmung ist sie 37 Jahre alt, in der Landwirtschaft tätig und mit dem Gemeindepräsidenten Paul Zenhäusern verheiratet. «Irgendeine musste ja den Anfang machen», erinnert sie sich später. Auch ihre 80-jährige Mutter stimmt an diesem Abend ab. Insgesamt nehmen 33 der 106 Frauen der Gemeinde an der Abstimmung teil, begleitet von Buhrufen. Die Beschimpfungen – durch Männer und Frauen – halten teilweise noch Tage an. Die Abstimmung von Unterbäch erregt auch mediales Auf-sehen. Medienschaffende aus Asien und den USA sind anwesend und fotografieren. Sogar die New York Times berichtet von der Sensation.
Doch wie kommt es dazu, dass ausgerechnet die Frauen der Oberwalliser Gemeinde Unterbäch zu Vorkämpferinnen für die politischen Rechte der Frauen wurden? Ein Grund liegt sicher in der wirtschaftlichen Situation der Bergregion. Da Arbeitsstellen rar sind, verlassen viele Männer ihre Dörfer, um als Saisonniers in den Weinreben, Obstgärten oder als Tunnelbauer zu arbeiten. Meist bleiben sie mehrere Monate von zuhause fern. In dieser Zeit kümmern sich die Frauen um den Haushalt, die Feldarbeit, die Kinder und die Geschäfte und verfügen daher über beträchtliche Entscheidungsfreiheiten. Ein zweiter Grund ist die politische Zusammenarbeit mit Iris und Peter von Roten, die in Raron, einer Nachbargemeinde von Unterbäch wohnen und immer wieder öffentlich für die Gleichberechtigung der Frauen eintreten.
Tatsächlich berät Peter von Roten mit dem Gemeindepräsidenten und Grossrat Paul Zenhäusern die anstehende Abstimmung. Die beiden haben im Kanton bereits früher zwei Motionen für das Frauenstimm- und -wahlrecht eingereicht – ohne Erfolg. Jetzt wollen sie die Frauen von Unterbäch an der eidgenössischen Abstimmung teilhaben lassen. Sie fragen den Bundesrichter Werner Stocker um Rat. Dieser beurteilt die Teilnahme der Frauen an einer eidgenössischen Abstimmung als vereinbar mit dem Verfassungsartikel zu den politischen Rechten, einzige Voraussetzung sei der Eintrag im Stimmregister der Gemeinde. Und so beschliesst der Gemeinderat am 6. Februar 1957, die Frauen ins Stimmregister der Gemeinde Unterbäch einzutragen und eine separate Urne für ihre Stimmen aufzustellen. Im Protokoll der Gemeinderatssitzung heisst es dazu: «Der Anstand und der gute Ton verlangen es in diesem Falle besonders, dass wir Männer uns nicht als Vormünder benehmen, sondern Rechte und Pflichten unserer Frauen in Einklang bringen». Da das Führen der Stimmregister in der Verantwortung der Gemeinden liegt, beruft sich der Gemeinderat auf die Gemeindeautonomie. Das Walliser Wahlgesetz schliesst nur sogenannte Zuchthäusler oder Armengenössige von der Ausübung der politischen Rechte aus – Frauen sind nicht erwähnt. Die Walliser Kantonsregierung und der Bundesrat sind nicht erfreut: der Plan sei verfassungswidrig. Trotzdem wird in Unterbäch am Vorhaben festgehalten. Auch einige andere Gemeinden (Siders, Martigny-Bourg, Lugano, La Tour-de-Peilz und Niederdorf BL) lassen Frauen konsultativ abstimmen; Unterbäch ist aber das einzige Dorf, das die Stimmen der Frauen und Männer gleichwertig behandeln will.
Die Stimmen der Unterbächer Frauen werden schliesslich für ungültig erklärt, dennoch ist die Protestaktion ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur politischen Gleichberechti-gung der Frauen. Gegen den Willen der Walliser Regierung trägt Unterbäch als erste Schweizer Gemeinde die Frauen ins kommunale Stimm- und -wahlregister ein. Erst 13 Jahre später erhalten die Walliserinnen das kantonale Stimmrecht. Katharina Zenhäusern lässt bis zu ihrem Tod 2014 keine Abstimmung aus.
Das Oberwalliser Bergdorf wird zum Symbol für die politische Teilhabe der Frauen und als «Rütli der Schweizer Frauen» bekannt. Als Elisabeth Kopp 1984 zur ersten Bundesrätin gewählt wird, macht Unterbäch sie zur Ehrenbürgerin. 1988 zum Rücktritt gezwungen, wird sie im Februar 1989 nach Unterbäch eingeladen. Während ihrer Besuche lernen Elisabeth Kopp, Iris von Roten und Katharina Zenhäusern einander kennen – drei Pionierinnen im Kampf um das Stimm- und Wahlrecht für Frauen (Quelle: EKF).
„Irgendeine musste ja den Anfang machen.“ Katharina Zenhäusern, 2007