Vote 71/21 – lustvolle Demokratie = feministische Demokratie

Wie würde die Schweiz aussehen, wenn nur Frauen, inter, nicht-binäre und trans (FINT) Personen abstimmen dürften?

In jedem Fall wissen wir, wie die Schweiz aussieht andersrum: dann, wenn nur Männer abstimmen können. Das war nämlich der Fall für Jahrzehnte bis vor 50 Jahren – oder 30 Jahren in einigen Ecken. 1971 wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz eidgenössisch anerkannt. 2021 jährt sich das Jubiläum dieses demokratischen Grundrechts zum 50igsten Mal. Wir, Les Créatives, nutzten diesen historischen relevanten Zeitpunkt als Anlass um aufzuzeigen, dass Frauen, inter, nicht-binäre und trans Menschen politische Entscheidungen in der Schweiz stark beeinflussen können und in Zukunft auch vermehrt sollten. Viel zu lange wurden uns die demokratischen Instrumente vorenthalten und es ist an der Zeit diese zurückzuerobern.

Laut der Professorin Nathalie Giger, Spezialistin für vergleichendes politisches Verhalten an der Universität Genf, wählen Frauen anders als Männer und sind mehr auf soziale und ökologische Themen sensibilisiert. In einer Zeit, in der der Entzug eines demokratischen Grundrechts unvorstellbar erscheint, kehrten Les Créatives die Situation vor 1971 auf spielerische Art um und starteten ein ambitioniertes wie innovatives Projekt: VOTE 71/21. Mit der Abstimmung, in der nur Stimmen von FINT Personen, Ausländer*innen und Schweizer*innen ab 16 Jahre gezählt wurden, tragen Les Créatives die wichtigsten Änderungsansätze bezüglich Gleichstellung direkt in die Schweizer Politik.

Ein provokantes Projekt zwischen Kunst und Politik mit dem Ziel: die Schweizer Demokratie feministischer zu gestalten

© Kenza Wadimoff

Von Mai bis November 2021 wurde das VOTE 71/21 Projekt realisiert:

Die Abstimmungsvorlagen wurden von einer feministischen Task Force zusammengestellt, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter und gegen andere Formen der Diskriminierung einsetzen. Die Teilnehmenden wurden speziell ausgewählt, um ihre Expertise in das Projekt einzubringen, wobei besonderes Augenmerk auf Intersektionalität gelegt wurde. Anschliessend wurden die Wahlobjekte einer breiten nationalen Konsultation mit verschiedenen Kollektiven und Verbänden unterzogen.

Während der dreiwöchigen Abstimmungsphase wurden Stimmen digital sowie analog – an den ersten feministischen Landsgemeinden die es je gab – gesammelt, bis sie am 25. November während dem interdisziplinären und feministischen «Les Creatives» Festival final präsentiert wurden.

Über 1000 Frauen und Geschlechterminderheiten haben an der Online-Abstimmung teilgenommen und mehr als 300 Personen an den beiden feministischen Landsgemeinden, die in Appenzell Innerrhoden und Genf organisiert wurden.

© Kenza Wadimoff

Eine gross angelegte Volksabstimmung, bei der nur die Stimmen von Frauen berücksichtigt werden, hat es weder in der Schweiz noch irgendwo sonst auf der Welt je gegeben. Dieses Projekt wollte den Stimmen, die noch zu unsichtbar sind, Gehör verschaffen und die notwendigen Veränderungen zur Erreichung der Gleichstellung beschleunigen. Mit diesem Projekt verhofften wir uns auch die Wahlbeteiligung von Frauen, inter, nicht-binären und trans Menschen für zukünftige Abstimmungen zu steigern und aufzuzeigen, dass der Feminismus Lösungen für die grossen Probleme unserer Welt bereit hat.

Abstimmungsresultate

Mehr erfahren zu den Abstimmungsthemen

Abstimmungsthema 1: Finanzierung des Kampfes gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Ergebnis: Angenommen mit 96% Ja-Stimmen bei 4% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 2: Reform des Sexualstrafrechts
Ergebnis: Angenommen mit 98% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 3: Schutz von Frauen, inter, nicht-binären und trans Menschen auf der Flucht
Ergebnis: Angenommen mit 98% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 4: Für eine diskriminierungsfreie Bildung
Ergebnis: Angenommen mit 96% Ja-Stimmen bei 3% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 5: Ökologische Investition
Ergebnis: Angenommen mit 97% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 6: Verkürzung der Arbeitszeit
Ergebnis: Angenommen mit 93% Ja-Stimmen bei 5% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 7: Verfassungsrechtlichen Schutz
Ergebnis: Angenommen mit 85% Ja-Stimmen bei 5% Nein-Stimmen.

Abstimmungsthema 8: Schutz vor Diskriminierung
Ergebnis: Mit 97% Ja-Stimmen bei 2% Nein-Stimmen angenommen,

Mit einer überwältigenden Mehrheit für die Vorschläge der feministischen Task Force, aber auch mit der hohen Wahlbeteiligung, zeigt VOTE 71/21 nicht nur das Interesse an den angesprochenen Themen, sondern auch eine Dringlichkeit, sie im Bereich der Realpolitik zu behandeln.

Auf in eine feministische Demokratie!

Informationen zur Projektträgerin Les Creatives

Der Verein Les Créatives reflektiert über Fragen der Gleichberechtigung in der Gesellschaft durch künstlerische Darstellungen, Podiumsdiskussionen und spezifische Projekte. Der Verein unterstützt und fördert das Schaffen und die intellektuelle Produktion von Frauen, inter, nicht-binäre und trans Menschen, indem sie seit über 15 Jahren im November ein Festival organisieren. Der Verein arbeitet eng mit Frauen- und Feministischen Organisationen, der Universität Genf sowie mit einer Vielzahl von kulturellen Einrichtungen zusammen. Das Les Créatives Festival ist das erste Festival in der Schweiz, welches nur Frauen, inter, nicht-binäre und trans Menschen programmiert und sowie auch das erste feministische Festival. Les Créatives ist eine von Bundesbehörden (OFC, Pro Helvetia, EDA) unterstützte Organisation, die ein breites nationales Netzwerk aufgebaut hat. Sie ist eine rechtlich und politisch unabhängige Organisation und befindet sich im Prozess der Anerkennung als Organisation des öffentlichen Interesses.

Zur Autorin

Noemi Grütter arbeitet als Frauenrechts-und LGBTIQ Koordinatorin bei Amnesty International Schweiz sowie als Projektleiterin beim Festival Les Créatives. Sie ist ebenfalls Co-Präsidentin von Sexuelle Gesundheit Schweiz und im Vorstand von SAO für Frauen auf der Flucht. Sie hat ein Masterabschluss in Menschenrechten mit der Spezialisierung in Projektmanagement und Gender Studies.