Alma Bacciarini (1919-2007)

Alma Bacciarini kämpft an vorderster Front für die politischen Rechte der Frauen im Tessin. Als sie 1979 als erste Tessinerin in den Nationalrat gewählt wird, setzt sie sich auf nationaler Ebene für die tatsächliche Gleichstellung und insbesondere für die politische Partizipation der Frauen ein. Dabei betont sie die Verantwortung der Parteien, die Politikerinnen stärker zu unterstützen.

Quelle: EKF, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen

Alma Bacciarini wächst im kleinen Dorf Cabbio im Tessin auf. Sie besucht das Gymnasium in Biasca, anschliessend das Lehrerseminar in Locarno, ab 1945 unterrichtet sie an verschiedenen Schulen. Zwischenzeitlich verlässt sie das Tessin, um in Zürich und Genf italienische und französische Literatur zu studieren. In dieser Zeit erwacht ihr Interesse für die Situation der Frauen und sie beginnt mit ihrer journalistischen Tätigkeit. Sie schreibt unzählige Artikel zu gesellschaftspolitischen und kulturellen Themen, die in den Zeitungen La Nostra Voce, Gazzetta Ticinese, Cooperazione, Il Dovere oder La Regione Ticino veröffentlicht werden. Regelmässig ist sie auch in der Radiosendung Per la donna zu hören, einer wichtigen Diskussionsplattform für die Emanzipation der Frauen im Kanton Tessin.

Alma Bacciarini engagiert sich auf kantonaler wie nationaler Ebene für die politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen. 1954–63 ist sie Vizepräsidentin des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht und 1976–92 der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, 1992–95 präsidiert sie den Verband der Tessiner Frauenvereine. Sie ist Mitglied und Präsidentin zahlreicher weiterer Organisationen, in denen sie sich für die Rechte der Frauen und die Frauenförderung einsetzt. In den 1950er und 1960er Jahren dominiert der Kampf für die politische Gleichberechtigung. Dabei weist Alma Bacciarini immer wieder auf die Verantwortung der Parteien hin, die Frauen innerhalb der Partei zu fördern und das Frauenstimm- und -wahlrecht zu propagieren. Im Vorfeld der dritten Tessiner Abstimmung über das kantonale Frauenstimmrecht vom 19. Oktober 1969 arbeitet sie intensiv mit der Associazione Ticinese per il voto alla donna zusammen.

Nachdem die Tessinerinnen 1969 auf kantonaler und 1971 auch auf nationaler Ebene die politischen Rechte erkämpft haben, beginnt für Alma Bacciarini die «offizielle» parteipolitische Karriere: 1972–80 ist sie für den Partito Liberale-Radicale (PRD, dt. FDP) Gemeinderätin in Breganzona, 1975–91 politisiert sie als Tessiner Grossrätin und 1979 wird sie als erste Frau aus dem Tessin in den Nationalrat gewählt. Im Parlament setzt sie sich für gesellschaftliche Minderheiten und Benachteiligte ein. So verhilft sie den Tessiner Anliegen sowie der italienischen Sprache zu mehr Gehör und betont die sprachliche Vielfalt als wichtiges Element des nationalen Zusammenhalts.

Zentrales Thema ihres Engagements bleibt die Gleichberechtigung der Frauen. Nach der politischen Gleichberechtigung fordert sie die tatsächliche – das heisst die juristische, soziale und gesellschaftliche – Gleichstellung der Geschlechter. Sie weist auf die mangelnde politische Teilhabe der Frauen hin: Trotz formalem Wahlrecht werden Frauen nur selten in politische Ämter gewählt. Dabei scheut sie die Auseinan-

dersetzung mit ihrer eigenen und den anderen politischen Parteien nicht. Sie kritisiert die Praxis der Parteien, Frauen als Lückenfüllerinnen auf die Wahllisten zu setzen, ohne sie konkret zu unterstützen. Als 1983 erneut Nationalratswahlen anstehen und sich abzeichnet, dass, die Leitung der FDP statt Alma Bacciarini den Staatsrat Ugo Sadis lancieren will, zieht sie sich aus dem Rennen um den Tessiner Nationalratssitz zurück. Ugo Sadis wird jedoch nicht gewählt und Alma Bacciarini muss sich nach vier Jahren aus dem Nationalrat verabschieden. Rückblickend kommentiert sie: «Wenn es eine Enttäuschung gab, dann vielleicht von meiner Partei, der es zwar gelang, die erste Tessinerin nach Bern zu wählen, die aber dieses Ereignis politisch nicht nutzen konnte oder wollte.»

Die politische Partizipation der Frauen bleibt für sie ein wichtiges Thema. In ihrer Zeit als Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen veröffentlicht die Kommission den Bericht Nehmen Sie Platz, Madame (1990), der die politische Repräsentation der Frauen in der Schweiz untersucht.

Bis 1991 bleibt sie Tessiner Grossrätin, stellt sich dann aber nicht mehr zur Wahl. Dieser Verzicht entspricht ihrer Überzeugung, Jüngeren und anderen Frauen eine politische Laufbahn zu ermöglichen. Nach ihrer politischen Karriere präsidiert sie den Verband der Tessiner Frauenvereine (1992–95) und widmet sich in dieser Funktion der Übersetzung und Veröffentlichung von Lotti Ruckstuhls Buch Frauen sprengen Fesseln: Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz. Dabei erweitert sie gemeinsam mit Iva Cantoreggi und Emma Degoli den Text und das Bildmaterial zum Kanton Tessin. 2007 stirbt Alma Bacciarini mit 85 Jahren (Quelle: EKF).

„Ich freue mich für das Tessiner Volk, dass endlich eine Frau unseren Kanton in Bern vertritt. Persönlich freue ich mich über mein Wahlergebnis, da es eine Befriedigung für die jahrelange Arbeit ist. Ich fühle mich aber nicht priviligiert, denn ich halte fest, – auch auf die Gefahr hin, unbescheiden zu wirken – dass ich dafür gearbeitet habe, bis hierher zu gelangen.“ Alma Bacciarini, 1997

 

 

 

 

Ein neuer Roman inspiriert durch die Geschichte von Schweizer Frauen

«Die Vergangenheit ist ein fremdes Land; dort gelten andere Regeln.» Dieses berühmte Zitat von L.P. Hartley entspricht bis zu einem gewissen Punkt der Wahrheit, aber Dinge, die seit Menschengedenken geschehen sind, sind nicht wirklich fremd oder vergangen. Denken wir an all die Personen, welche in einer Schweiz aufgewachsen sind, in der es für Frauen völlig normal war, nicht abzustimmen, nicht über ihr eigenes Geld bestimmen zu können oder im öffentlichen Leben sichtbar zu sein.

Mein Roman «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten», spielt sich am 1. Februar 1959 ab –  an dem Tag, an dem die Männer eine Abstimmung über das Frauenstimmrecht abgelehnt haben. Das Parlament hatte im Jahr 1958 der längst fälligen Einführung des Frauenstimmrechts bereits zugestimmt, aber es brauchte auch die Zustimmung des Schweizer Stimmvolkes. Entgegen dem Willen des Parlaments scheiterte die Abstimmung mit 66.9% Nein-Stimmen.

Ich wohne seit 2003 in der Schweiz und in meiner Tätigkeit als Journalistin haben sich mir gegenüber viele ältere Leute – Frauen und Männer – betreffend ihrer Erfahrungen mit Ausgrenzung in dieser Ära geöffnet. Nun ist mein Interesse aber nicht nur beruflicher Art.  Ich diskutiere diese Themen immer wieder gerne in meinem Privatleben mit Freunden und Familie. Einmal hat mich eine Frau auf der Strasse angehalten, um meine Zwillingsmädchen zu bewundern. Schnell waren wir in ein Gespräch verwickelt. Sie hat mir gesagt, sie sei auch ein Zwilling, in den fünfziger Jahren geboren. Ihre Eltern hatten sie als Baby in ein Kinderheim gesandt, weil ihre Mutter es nicht bewältigen konnte, sich um zwei Säuglinge zu kümmern. Die Frau hat sich immer gefragt: «Wieso ich und nicht meine Schwester?». In ihrem Fall war Armut wahrscheinlich die Antwort darauf, aber viele andere Menschen haben wegen starrem Denken und systematischer Diskriminierung gelitten.

Mein Roman ist zum Teil von der Schweizer Feministinnen-Ikone Iris von Roten inspiriert, die 1958 mit ihrem Buch «Frauen im Laufgitter» eine detaillierte Analyse der Schweizer Gesellschaft der 1950er-Jahre vorlegte. Als ich ihre Texte übersetzt habe, hat es mir geholfen, mich in die Lebensbedingungen meiner vier Hauptcharaktere hineinzuversetzen – eine Bauernfrau, ein «Bürofräulein», eine alleinerziehende Mutter Jenischer Abstammung und eine gebildete Berufsfrau. Anscheinend wird die französische Übersetzung von Frauen im Laufgitter nächstes Jahr erscheinen. Endlich!

Wenn wir über die Vergangenheit sprechen, ist es wichtig, Frauen nicht auf ihre Opferrolle zu reduzieren. Genau wie wir, konnten die Frauen von damals lieb oder egoistisch sein, realistisch oder idealistisch. Sie hatten Spass, hatten Liebesaffären und ihnen gefiel es, Mutter zu sein. Auch mir gefiel es, mich in ihre Situation hineinzuversetzen.

Da wir uns dem 50-jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts in der Schweiz nähern, ist es bedeutsam, sich zu überlegen, was es für Frauen hiess, so lange politisch ausgeschlossen zu sein. Geschichten erzählen ist eine wundervolle Art um bei Menschen Empathie und Verständnis für die damalige Situation von Frauen zu wecken. Aus diesem Grunde freue ich mich, dass mein Roman sowohl auf Französisch, Deutsch und Italienisch, als auch auf Englisch publiziert wird. Dies vor allem, um Schweizer Leserinnen und Leser zu erreichen. Um mehr über das Projekt zu erfahren und es zu unterstützen, können Sie einen Blick auf das Crowdfunding werfen, welches noch bis zum 22. Dezember andauert.

In meinem Sachbuch über die Schweiz, The Naked Swiss (Die wahre Schweiz / La Suisse mise à nu), habe ich ein Kapital der Situation der Frauen in der Schweiz gewidmet. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass nicht mehr so stark zwischen sogenannter Männer- und Frauensache unterschieden wird, wodurch Frauen und Männer ihre Horizonte auf erfüllende Art und Weise erweitern können. Die Schweiz darf in dieser Hinsicht jedoch sicher noch innovativer und genderkompetenter werden.

Über Clare O‘ Dea:

Bevor Clare O’Dea als Autorin mit «The Naked Swiss: A Nation Behind 10 Myths» (Die wahre Schweiz: Ein Volk und seine 10 Mythen / La Suisse mise à nu: Un peuple et ses 10 Myths) durchstartete, war sie zehn Jahren lang Journalistin bei der SRG SSR (swissinfo.ch). Die irische Doppelbürgerin und ehemalige Irish Times Journalistin wohnt auf der Sprachgrenze im Kanton Freiburg. «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten» ist ihr erster Roman.