Iris von Roten (1917-1990)

Die Juristin und Autorin Iris von Roten liefert 1958 in ihrem Buch Frauen im Laufgitter eine eindrückliche Analyse der Situation der Frauen in der Schweiz. Schonungslos legt sie die Machtverhältnisse der patriarchalen Gesellschaft und die Unterdrückung der Frauen offen. Für diese Direktheit wird sie zu Lebzeiten kritisiert und diffamiert. Heute gilt ihr Buch als feministisches Grundlagenwerk.

Quelle: EKF, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen

Iris Meyer wächst in einer wohlhabenden Familie auf. 1932 bis 1936 besucht sie die Höhere Töchterschule in Zürich. Nach der Matura studiert sie in Bern, Genf und Zürich Rechtswissenschaften und promoviert 1941. Danach arbeitet sie zunächst als Journalistin und Redakteurin, ab 1944 beim Schweizer Frauenblatt, dem Publikationsorgan des Bundes Schweizerischer Frauenorganisationen.

Bereits an der Universität Bern lernt Iris Meyer den Mitstudenten und späteren Walliser Grossrat Peter von Roten kennen, der aus einer aristokratischen Familie stammt. Die beiden verlieben sich und tauschen sich intensiv über gesellschaftspolitische und persönliche Themen aus; zwischen 1943 und 1950 schreiben sie einander über 1’300 Briefe. Gegen den Widerstand der katholisch-konservativen Familie Peter von Rotens heiraten sie 1946. Im selben Jahr erwirbt Iris von Roten das Anwaltspatent. Das Ehepaar eröffnet ein Advokatur- und Notariatsbüro im Wallis. Doch Iris von Roten ist es in den konservativen Tälern zu eng, ihr werden als Anwältin kaum Mandate anvertraut, sie kann sich in dem «Walliser-Männerloch» (Verliebte Feinde, S. 373) nicht verwirklichen.

So geht sie im Sommer 1947 für einen mehrmonatigen Sprachaufenthalt nach England und setzt sich dort vertieft mit feministischen Themen auseinander. Ab Sommer 1948 lebt sie ein Jahr in den USA, sie studiert Soziologie und schreibt an einem Buch über die Entrechtung der Frauen. Iris und Peter von Roten führen ihren Briefwechsel fort, sie diskutieren insbesondere auch über Geschlechterbeziehungen und sexuelle Freiheit. In der gleichen Periode reicht Peter von Roten als Nationalrat und Grossrat der Katholisch-Konservativen – gegen den Willen seiner Partei – Vorstösse für die politische Gleichberechtigung der Frauen ein.

Als Iris von Roten in die Schweiz zurückkehrt, zieht das Ehepaar nach Basel. 1952 kommt ihre Tochter Hortensia zur Welt. Damit beide Familie und Beruf vereinbaren können, erprobt das Paar verschiedene Modelle, von der Haushalthilfe über studentische Hilfskräfte bis zu externen Betreuungslösungen. 1958 veröffentlicht Iris von Roten nach langer Arbeit Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau. Auf rund 600 Seiten unternimmt sie eine soziologische Analyse der Situation der Frauen. In fünf Kapiteln untersucht sie ebenso detailliert wie kritisch die Wurzeln und Zusammenhänge der Unterdrückung von Frauen. Sie analysiert die «weibliche Berufstätigkeit in einer Männerwelt», die Abhängigkeit der Frauen in der Liebe und Sexualität, sie entlarvt die Haushaltsarbeit als «Haushaltsfron» und die Mutterschaft als «Bürde ohne Würde». Im Kapitel «Ein Volk von Brüdern ohne Schwestern» prangert sie die politische Rechtlosigkeit der Frauen an. Sie fordert die uneingeschränkte wirtschaftli-che, rechtliche, politische und soziale Gleichstellung der Geschlechter und die sexuelle Selbstbestimmung für die Frauen. Ihre oft pointierten Worte stossen vielerorts auf heftige Ablehnung. Besonders die Aussagen zu Mutterschaft, Hausarbeit und Sexualität entrüsten. Frauen im Laufgitter wird zum Skandal und Iris von Roten öffentlich geächtet, verspottet und persönlich angefeindet. Im Dezember 1958 distanziert sich auch der einflussreiche Bund Schweizerischer Frauenorganisationen (BSF) vom Buch. Viele traditionelle Stimmrechtskämpferinnen befürchten, die radikale Streitschrift könnte im Hinblick auf die anstehende Abstimmung über das Frauenstimmrecht kontraproduktiv sein. Nach dem negativen Ausgang der Abstimmung im Februar 1959 veröffentlicht Iris von Roten das Frauenstimmrechts-Brevier, in dem sie in kurzer Form das Stimmrecht als notwendige Grundlage für eine umfassende Gleichstellung der Geschlechter beschreibt.

Nach diesen beiden Veröffentlichungen äussert sich Iris von Roten nur noch selten zu feministischen Themen. 1960 reist sie mit dem Auto für sechs Monate durch die Türkei; ihre Reiseerlebnisse publiziert sie 1965 im Buch Vom Bosporus zum Euphrat. Türken und Türkei. Sie unternimmt weitere Reisen in zahlreiche Länder und wendet sich vermehrt der Malerei zu. Als sie nach einem Unfall zunehmend von Gesundheits-problemen geplagt wird, ihre Sehkraft abnimmt und sie nicht mehr malen kann, beendet Iris von Roten 1990 ihr Leben. Ein Jahr nach ihrem Tod erscheint im efef-Verlag eine Neuauflage von Frauen im Laufgitter, die zum Bestseller wird (Quelle: EKF).

„(…) in den Staaten mit politischer Gleichberechtigung kann man in keinem Bereich die Frauen grundsätzlich hintanstellen oder übergehen. Die Frauen zählen! In ihren eigenen Augen und jenen der anderen. Zwar nicht so viel, wie sie zählen sollten, aber etliches mehr als dort, wo man ihnen im Bereich der Politik einen Maulkorb anlegt.“ Iris von Roten, Frauen im Laufgitter (1958), S. 579

 

 

 

 

 

Anfänge des Frauenstimmrechts in der reformierten Kirche

Jahrzehnte vor der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler und kantonaler Ebene gab es in der Schweiz Kirchen und Kirchgemeinden, die ihren weiblichen Mitgliedern das Stimmrecht gaben. Als allererste Kirche in der Schweiz führte die Eglise évangélique libre de Genève 1891 das Frauenstimmrecht ein. Die Eglise évangélique libre war in den 1840er-Jahren aus der Genfer Erweckungsbewegung entstanden. In der Revision ihrer Constitution erwähnte sie 1891 explizit, dass ihre Assemblée, aus allen Mitgliedern – „frères et soeurs“ – bestehe. Sie alle wählten die pasteurs, anciens et diacres in ihre kirchlichen Ämter. Damit hatten die Frauen erstmals in der Schweiz in kirchlichen Angelegenheiten das aktive Stimmrecht erlangt.

Im Kanton Zürich gab es 1902 einen Vorstoss, um das kirchliche Frauenstimmrecht einzuführen. Emma Boos-Jegher brachte die Frage auf. Sie hatte unter anderem 1887 zu den Gründerinnen des Zürcher Frauenbundes zur Hebung der Sittlichkeit gehört, dem heutigen Evangelischen Frauenbund Zürich, einem Mitgliedverband der Evangelischen Frauen Schweiz. In ihrer Funktion als Präsidentin der Union für Frauenbestrebungen, reichte Boos-Jegher eine Eingabe an den Kantonsrat des Kantons Zürich zum Stimmrecht von Frauen in kirchlichen Angelegenheiten ein. Damals wurde das Kirchengesetz des Kantons Zürich überarbeitet. In diesem Zusammenhang argumentierte Boos-Jegher für die Einführung des Frauenstimmrechts in der Zürcher Landeskirche. Die Zürcher Landeskirche meldete anschliessend in den 1910er-Jahren bei der Zürcher Regierung ihren Wunsch nach Einführung des Frauenstimmrechts an. Das Begehren versandete allerdings während des Ersten Weltkriegs und 1923 lehnten die Stimmbürger im Kanton Zürich ein Gesetz ab, das den Frauen das Wahlrecht in Kirchen-, Schul- und Armenpflegen geben wollte.

Anfang der 1930er gab es einen neuen Anlauf, um das kirchliche Frauenstimmrecht in Zürich einzuführen. Inzwischen hatten die Landeskirchen in Genf, Waadt, Baselstadt, Bern, Aargau, Thurgau und Graubünden Regelungen zum kirchlichen Frauenstimmrecht erlassen. In einigen Kantonalkirchen hatten die Frauen das aktive und das passive kirchliche Frauenstimmrecht erreicht, in anderen nur das aktive Stimmrecht und in wieder anderen wie Bern, war es den einzelnen Kirchgemeinden freigestellt, ob sie ihren weiblichen Mitgliedern das Stimmrecht gewähren wollten. Definitiv eingeführt wurde das kirchliche Stimm- und Wahlrecht für Frauen im Kanton Zürich allerdings erst 1963, acht Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene.

Edith Siegenthaler, Dr. phil. hist., Leiterin Geschäftsstelle Evangelische Frauen Schweiz EFS

Quellen und Literatur:

  • Brocher, Emile: Notice sur l’église évangélique libre de Genève publiée à l’occasion du cinquantenaire de sa fondation. Genève 1899.
  • Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF): Frauen Macht Geschichte 2.2. Politische Teilrechte für Frauen in Kantonen und Gemeinden. www.ekf.ch
  • Locher, Albert: Vom Frauenstimmrecht insbesondere in kirchlichen Angelegenheiten. Zürich 1903.

 

Lassen Sie es krachen!

Wo waren Sie, als das Frauenstimmrecht 1971 in der Schweiz eingeführt wurde? In der Schule, am Arbeiten oder noch gar nicht geboren? Geschichte ist nichts Abstraktes, Weltfremdes – sollte es zumindest nicht sein. Geschichte ist das, was wir heute leben und worüber unsere Nachfahrinnen in fünfzig oder fünfhundert Jahren berichten werden. Sie werden auf uns zurückschauen, sich wundern, erzählen und interpretieren.

Für Historikerinnen und Historiker ist die allerjüngste Geschichte, die sogenannte Zeitgeschichte, immer ein etwas heisses Eisen, wegen der Betriebsblindheit, des mangelnden Abstands. Wir haben uns dennoch auf dieses Abenteuer eingelassen mit dem Buch «Jeder Frau ihre Stimme. 50 Jahre Schweizer Frauengeschichte 1971–2021».

Mit «wir» sind sieben Historikerinnen gemeint. Caroline Arni beginnt ihre Einführung zur Vorgeschichte mit dem Ausruf «Endlich!». Und Elisabeth Joris, Anja Suter, Fabienne Amlinger, Leena Schmitter und Angelika Hardegger haben je einen längeren Essay zu jedem Jahrzehnt zwischen 1970 und 2020 verfasst. Ich habe als Herausgeberin das Projekt betreut.

Eine Bildstrecke vor jedem Essay erzählt die Geschichte der Frauenbewegung, von Frauenpower, von Demos, Politik, Lust und Frust auf ihre eigene Art. Und zu jedem Jahrzehnt wird eine spannende Frau porträtiert. Alles Persönlichkeiten, die ihre Sache mit viel Verve verfolgen – sei es die Frauengesundheit, eine nachhaltigere Finanzwelt oder der Bäuerinnenlohn. Es ist ein historisch fundiertes und zugleich leicht lesbares Buch geworden, der erste umfassende Überblick über die letzten 50 Jahre.

Im Spannungsbogen erkennt man, wie die Diskussionen und Kämpfe vonstattengingen, wie gerungen und wiederholt abgestimmt werden musste. Aber es war nicht nur Kampf. Die Frauen gingen ebenso lustvoll und neugierig wie kritisch an Themen heran, gründeten Frauenbands, publizierten, vernetzten sich global und reklamierten Öffentlichkeit für Themen wie Rassismus, Gewalt, Homosexualität und vieles mehr.

Die Autorinnen von «Jeder Frau ihre Stimme» werfen ihren je eigenen Blick auf die letzten fünfzig Jahre und zeigen, wie vielstimmig der Feminismus von Anfang an war. «Die Frau» und «den Feminismus» gibt es nicht. Fordernd und laut waren die einen, zahmer und um Integration bemüht die anderen. Und während einige sich von der rechtlichen Gleichstellung die grösste Hebelwirkung versprachen, träumten die anderen vom hierarchiefreien Frauenutopia.

Vieles, was ab den 1970er-Jahren zunächst nur als Forderung linker Aktivistinnen galt, wird heute von einer Mehrheit als Selbstverständlichkeit wahrgenommen: vom straflosen Schwangerschaftsabbruch, über Gleichstellungsbeauftragte bis zur Mutterschaftsversicherung. Die Schweiz sah 1971 deutlich anders aus als heute. Und der Blick zurück zeigt vor allem eines: wie unheimlich wichtig es war, dass Frauen endlich mitbestimmen durften. Dass sie Themen in Politik und Gesellschaft platzierten, die den Männern zuvor einfach nicht genügend relevant erschienen waren. Den Pionierinnen, die zäh durchhielten, gilt meine Bewunderung und mein Dank. Ohne sie wäre mein heutiges Leben kaum denkbar. Denn ja, das Private ist politisch.

Als 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, war ich sechs Jahre alt und wurde im April in Zürich eingeschult. Mein Vater war damals überzeugt, dass Mädchen nicht studieren sollten. Während ich zur Schule ging, stiegen Frauen auf die Barrikaden, gingen in die Politik, wurden Nationalrätinnen, weibelten für ein neues Eherecht und gleiche Bildungschancen. Angesichts des grossen gesellschaftlichen Wandels verblasste das väterliche Diktat. Die Tochter wurde nicht Sekretärin, sondern Verlegerin. Geschichte ist die Essenz unzähliger Biografien – meiner und Ihrer.

Wo werden Sie am 7. Februar 2021 sein? Schauen Sie sich die Aktionslandkarte von CH2021 an, und lassen Sie es krachen. Wer «Jeder Frau ihre Stimme» liest, versteht, dass gewiss nicht alles erreicht ist, dass aber kaum eine von uns das Rad fünfzig Jahre zurückdrehen möchte. Es wird ein Tag zum Feiern! Und zum Weitermachen!

«Jeder Frau ihre Stimme. 50 Jahre Schweizer Frauengeschichte 1971–2021», herausgegeben von Denise Schmid, ist im Oktober 2020 im Verlag Hier und Jetzt erschienen.

 

 

Antoinette Quinche (1896-1979)

Antoinette Quinche ist die erste promovierte Juristin und Anwältin im Kanton Waadt und eine prägende Persönlichkeit der kantonalen und nationalen Frauenstimmrechtsvereine. 1957 geht sie für das Frauenstimm- und -wahlrecht bis vor Bundesgericht. Die Beschwerde wird abgelehnt, aber in ihrem Heimatkanton trägt die jahrzehntelange Arbeit Früchte: 1959 führt die Waadt als erster Kanton das Frauenstimmrecht in kantonalen Angelegenheiten ein.

Quelle: EKF, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen

Nach nur einem Jahr an der Töchterschule in Lausanne wechselt Antoinette Quinche an das kantonale Gymnasium. Dort ist sie das einzige Mädchen, denn das Gymnasium ist Jungen vorbehalten. Doch ihr Vater erreicht ihre Zulassung. Der Besuch des kanto-nalen Gymnasiums ist Voraussetzung für ein späteres Universitätsstudium, und nach der Matura studiert sie ab 1915 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Lausanne. 1923 sind sie und Linette Combe die ersten Frauen im Kanton Waadt, die als Juristinnen promovieren. Nach einem dreijährigen Volontariat bei einem Anwalt erwirbt Antoinette Quinche das Anwaltspatent und eröffnet eine eigene Kanzlei. Sie vertritt vorwiegend Frauen bei Scheidungen, Vaterschaftsnachweisen oder Arbeitsunfällen. 1953 trägt sie entscheidend dazu bei, dass Frauen nach der Heirat mit einem Ausländer die schweizerische Nationalität nicht mehr verlieren. Sie erwirkt auch eine Verbesserung der Haftbedingungen von Frauen. Neben ihrer Berufstätigkeit bietet sie zudem im Auftrag der Union des femmes mit Linette Combe eine unentgeltliche Rechtsberatung für Frauen an.

Antoinette Quinche lebt gemeinsam mit ihrer Schwester bis zum Tod ihrer Eltern im Elternhaus. 1936 schliesst sich die spanische Frauenrechtlerin Clara Campoamor, die seit dem Spanischen Bürgerkrieg im Exil lebt, der Wohngemeinschaft an. Im Jahr 1962 übernehmen die Schwestern die Sorge für eine 2-jährige Pflegetochter, deren verstorbene Mutter mit ihnen befreundet war.

Antoinette Quinche übt während vielen Jahren öffentliche Tätigkeiten und Ämter aus. Sie tritt der Parti radical-démocratique suisse (heute FDP) bei, ist Mitglied der kantonalen Parteileitung und gründet die FDP-Frauengruppe Lausanne; 1932 bis 1935 präsidiert sie den Schweizerischen Verband der Akademikerinnen.

Einen besonderen Stellenwert unter ihren Aktivitäten nimmt ihr Engagement für die politische Gleichberechtigung der Frauen ein. Bereits als junge Frau wird sie in London mit ihrer aus Grossbritannien stammenden Mutter Zeugin einer Protestaktion der Suffragetten. Jahre später ist sie selbst eine Vorkämpferin für die politischen Rechte der Frauen. 1927 tritt sie dem Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF) bei, 1928 wird sie Mitglied im Zentralvorstand und amtiert von 1945 bis 1951 als Vizepräsidentin. Ab 1930 hat sie den Vorsitz der Lausanner Gruppe inne, ab 1932 präsidiert sie zusätzlich die Association vaudoise pour le suffrage féminin. Bis 1961 vertritt sie den SVF auch in der International Alliance of Women.

1929 engagiert sich Antoinette Quinche für die Petition für das Frauenstimmrecht. Sie ist Präsidentin des Waadtländer Aktionskomitees und Mitglied im Schweizerischen Aktionskomitee. Die Frauen verteilen Flugblätter, organisieren Vorträge und sammeln Unterschriften. Der Einsatz der Waadtländerinnen zahlt sich aus: 1/7 der schweizweit gesammelten Unterschriften stammt aus dem Kanton Waadt. Trotz der beeindruckend hohen Zahl von 249’237 Unterschriften bleibt die Petition ohne direkte Folgen.

Nach dem 2. Weltkrieg gründet der SVF das Schweizerische Aktionskomitee für das Frauenstimmrecht. Antoinette Quinche übernimmt das Präsidium und organisiert zahlreiche Aktionen. Als 1948 die Einhundertjahrfeier des Bundesstaates unter dem Motto «Schweiz, ein Volk von Brüdern» stattfindet, organisiert das Aktionskomitee eine Veranstaltung zur Benachteiligung der Frauen.

Gemeinsam mit 1’413 Mitstreiterinnen aus den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf verlangt Antoinette Quinche 1956 den Eintrag ins Stimmregister ihrer Gemeinden (vgl. auch Folie und Skript zu Elsa Franconi-Poretti und Katharina Zenhäusern). Sie berufen sich auf die Rechtsgleichheit in der Bundesverfassung. Mit dieser juristischen Auslegung wollen sie das Frauenstimmrecht ohne Verfassungsänderung ermöglichen. Nachdem die Gemeinden diese Forderung ablehnen, klagt Antoinette Quinche 1957 bis vor Bundesgericht. Aber auch das Bundesgericht weist die Beschwerde mit der Begründung ab, das Gewohnheitsrecht wiege höher als die in der Verfassung verankerte Rechtsgleichheit.

Im Vorfeld der ersten eidgenössischen Abstimmung über das Frauenstimmrecht leistet Antoinette Quinche Überzeugungsarbeit bei Waadtländer Politikern. Dank ihrem Engagement stimmen die Männer des Kantons Waadt am 1. Februar 1959 nicht nur über das eidgenössische, sondern gleichzeitig auch über das kantonale Frauenstimm-recht ab. Während die Vorlage auf nationaler Ebene abgelehnt wird, stimmt der Kanton Waadt der politischen Gleichberechtigung der Frauen zu und ist damit der erste Kanton in der Schweiz, der das Frauenstimm- und -wahlrecht einführt.

Nach diesem Erfolg zieht sich Antoinette Quinche aus der Öffentlichkeit zurück, ihren Beruf als Anwältin übt sie aber noch bis ins hohe Alter aus. Sie stirbt 1979 mit 83 Jahren (Quelle: EKF).

„Unsere Demokratie ist sehr alt und im Wesentlichen männlich geprägt. Um sie zu verändern, brauchte es grosses Fingerspitzengefühl und Argumente, die in den Augen der Demokraten zählen. Daher haben wir immer betont, wie ungerecht dies gegenüber den Frauen ist.“ Antoinette Quinche, 1971

 

 

 

 

 

Selbstbewusstsein muss her!

100 Jahre lang haben engagierte Schweizerinnen auf das Frauenstimm- und Wahlrecht hingearbeitet, dass EINZIG in der direkten Konfrontation mit den Schweizern, nämlich mit einem Urnengang des männlichen «Souveräns» entschieden werden konnte. Anders als im Ausland, wo dieses Recht – und zwar NUR das Wahlrecht – den Frauen von einigen wenigen hochstehenden Männern meist in Krisenzeiten «gegeben» wurde. Der schweizerische Weg dauerte, bis nach unermüdlicher Arbeit und Ausprobieren verschiedener Taktiken die endlich erfolgreiche Strategie der Verweigerung gefunden wurde: die grossen Frauenverbände verhinderten, dass die von den Männern gewünschte Zivildienstordnung und Menschenrechtskonvention ohne Frauenstimm- und Wahlrecht eingeführt werden konnten und erreichten mit dieser «Erpressung» 1971 endlich, dass diese Frauenrechte vom «Souverän» akzeptiert werden mussten.

Doch nun jammern Schweizerinnen seit 50 Jahren, dass es so lange ging, ja sie schämen sich geradezu. Das muss aufhören. Das Jubiläum 2021 soll das wirklich Wichtige in den Vordergrund rücken: das Ringen dauerte zwar lange, war aber erfolgreich und aus eigener Kraft und es schuf eine eigene, auf sich selbst aufbauende und unverwechselbare Geschichte der Schweizerinnen.

Nur wer eine Gruppe erniedrigen will, macht sie unbedeutend, lächerlich oder stellt sie als ewigen Verlierer dar. Schweizer Frauen wollen eine andere Geschichte: eine, die zu Recht auf die stolze Vergangenheit hinweist und selbstbewusst macht.

Franziska Rogger: Gebt den Schweizerinnen ihre Geschichte. https://franziskarogger.com/ und https://hommage2021.ch/geschichte

*Porträtbild von Yoshiko Kusano