Das bisschen Haushalt

Gleichberechtigung ist keine Privatsache. Wer glaubt, dass sich die Anliegen von Frauen um das bisschen Haushalt drehen, verkennt die Tatsache, dass Frauenrechte ein wirtschaftlicher Faktor sind und dass die Präsenz von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft markante Verbesserungen nach sich zieht. Dies natürlich nicht, weil Frauen per se die besseren Menschen wären, sondern weil das Zusammenkommen unterschiedlicher Erfahrungshorizonte schlicht die besseren Resultate liefert.

Robuste Gesellschaften sind Gesellschaften, in denen «diversity» gelebt und als Chance begriffen wird. Jüngstes Beispiel ist ganz sicher die Corona-Krise, die von Regierungen mit einer Frau an der Spitze deutlich besser gemanagt wurden. Länder wie etwa Deutschland, Finnland oder Neuseeland, die von Frauen regiert werden, reagierten rasch und umsichtig und konnten so die Kurve der Neuansteckungen nach unten drücken. Angela Merkel, Sanna Marin und Jacinda Ardern haben ihren Job beneidenswert gut gemacht. Wenn man dagegen die Zahlen aus den USA studiert, wird klar: Männliche Selbstüberschätzung tötet. Das katastrophale Krisenmanagement von Donald J. Trump hat 130’000 Amerikaner das Leben gekostet. Dies und die ungebremste Rate der Neuansteckungen werden Folgen für die amerikanische Wirtschaft haben. Was die amerikanischen Bürger derzeit am meisten fürchten, ist ein ständiges Stop-and-Go zwischen Lockdown, Lockerung und erneutem Lockdown.

Vielleicht ist die Krise ein guter Moment, um daran zu erinnern, dass die Gleichstellung einen positiven Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen eines Landes hat. Wenn Frauen in sich und Gesellschaften in Frauen investieren, wird die Wirtschaft insgesamt wettbewerbsfähiger. Zum einen, weil sich der Pool an Fachkräften verdoppelt, zum anderen weil eine grössere Auswahl auch die Qualität der Leistungen verbessert. Ganz abgesehen davon, dass gemischtgeschlechtliche Gremien die besseren Entscheidungen fällen, wie man in paritätisch besetzten Verwaltungsräten gut sehen kann. 2021, wenn das Schweizer Frauenstimmrecht seinen 50. Geburtstag feiert, sollte die Gleichstellungsdiskussion erneut und sehr intensiv geführt werden. Immer noch werden Frauen in der Schweiz bei der Entfaltung ihres Potenzials stark behindert. Dies ist nicht nur für die Frauen persönlich ein Frust. Es geht hier um weit mehr, nämlich um die Frage, ob die Schweiz es sich leisten kann, auf qualifizierte und hochqualifizierte Fachkräfte zu verzichten, nachdem man sehr viel staatliches und privates Geld in deren Ausbildung investiert hat.

Um nur ein Beispiel zu nennen: In der Schweiz gibt es mehr Medizinstudentinnen als Medizinstudenten. Ausgebildete Ärztinnen jedoch werden von männlich geprägten Strukturen und von der Unmöglichkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, wieder aus der beruflichen Laufbahn hinauskomplimentiert. In ihrem Buch «Unsichtbare Frauen» weist die Journalistin Caroline Criado-Perez minuziös nach, wie solche Brüche zustandekommen. Im Wesentlichen gründen sie auf Datenlücken. Der unausgesprochene Standard ist das Karrieremodell des Mannes, der die Kinderbetreuung Frauen überlässt. Dieser Standard modelliert berufliche Laufbahnen und lässt die Bedürfnisse von Frauen, die in der Medizin und anderswo Karriere machen könnten und möchten, unberücksichtigt. Dies musste auch die heute 46jährige Oberärztin Natalie Urwyler erfahren, die im Juni 2020 eine Klage gegen das Berner Inselspital eingereicht hat. «Lange verlief die Karriere von Natalie Urwyler wie am Schnürchen: Medizinstudium, Doktorat, Assistenz, Forschungsstelle an der renommierten Stanford-Universität in Kalifornien, Habilitation und schliesslich ein unbefristeter Anstellungsvertrag als Oberärztin an der Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie des Inselspitals Bern», fasst Regula Freuler in der NZZ zusammen. Der Bruch kommt, als Urwyler auf Mutterschutz pocht, weil schwangere Inselspital-Angestellte bis zu 80 Stunden pro Woche arbeiteten, obwohl das gesetzliche Maximum bei 45 Stunden liegt. 2013 wird Urwyler selbst Mutter, beantragt ein 80%-Pensum, das ihr nicht bewilligt wird. Dazu noch wird ihr vom Berner Inselspital die Forschungs- und Lehrtätigkeit gestrichen. Fünf Monate nach einer aufsichtsrechtlichen Beschwerde erhält Urwyler die Kündigung, eine «Rachekündigung», wie sowohl das Regionalgericht Bern-Mittelland und das Obergericht feststellen. Urwyler hat Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden, denn sie gilt jetzt trotz exzellentem Leistungsausweis als «schwierig».

Den Schaden ihrer zerstörten Karriere beziffert Natalie Urwyler auf 5 Millionen Franken und diesen Schaden klagt sie nun ein. Dabei geht es der geschassten Oberärztin nicht nur um die persönliche Genugtuung. «Ich will, dass eine verhinderte Frauenkarriere ein Preisschild erhält», sagt die engagierte Medizinerin im Gespräch mit der NZZ. Und weiter: «Allen muss bewusst werden, was es die Volkswirtschaft kostet, wenn man Frauen ausbremst.»

Wir sollten Natalie Urwyler die Daumen drücken, denn vom Ausgang des Prozesses hängt es ab, ob im Bereich der medizinischen Berufe systemischer Wandel proaktiv gestaltet werden wird oder nicht. Und ob es einen echten Willen des Gesetzgebers gibt, mit der Gleichstellung ernst zu machen. Das Urteil wird Signalwirkung haben, auch für andere Berufe. In diesem Sinne sollten wir auf ein Urteil hoffen, das 2021 alle Ehre macht.

Wie kann Eigentum Eigentum besitzen?

Am Anlass einer Non-Profit-Organisation wurde uns das sogenannte Conference-Pack in einer Tasche ausgehändigt, die diese Organisation von Frauen in der dritten Welt für Frauen in der ersten Welt herstellen lässt, um erstere finanziell unabhängig(er) zu machen. Den Frauen werden Nähmaschinen und Material (Reissäcke, die zur Weiterverarbeitung auseinandergeschnitten und in verschiedenen Farben gefärbt werden) überlassen, aus denen sie dann –­ nach einer Vorlage – diese Taschen fertigen. So können sie sich Geld verdienen, um sich und ihre Kinder durchzubringen, denn ihre oft trinkenden Ehemänner sind dazu oft weder willens noch fähig. Eines Tages wurde die Projektleiterin von einer der Frauen gerufen, die verzweifelt war, weil ihr Ehemann ihre Nähmaschine verkauft und den Verkaufserlös für sich eingestrichen hatte. Die Projektleiterin versuchte dem Ehemann nun klar zu machen, dass die Nähmaschine nicht ihm, sondern seiner Frau gehöre und er kein Recht hätte, diesen Gegenstand zu verkaufen. Der Ehemann reagierte völlig verständnislos auf diese sachenrechtliche Ausgangslage und fragte verdutzt: „How can property own property?“ (Wie kann Eigentum Eigentum besitzen?)

An diese Geschichte muss ich immer denken, wenn Frauen Männern erklären wollen, wie unsere Realitäten aussehen, wie wir die Dinge erleben, sehen, einordnen; wenn wir also nicht in der Lage sind, unser mind-set mit dem mind-set unseres Gegenübers bündig zu bringen; wenn wir einfach nicht in der Lage sind, uns verständlich zu machen, wenn Mentalitäten aufeinandertreffen, die für den einen einfach unerklärlich für den anderen unglaublich sind: „How can property own property?“

„Alle Einsicht beginnt mit den Sinnen“ hat einer dieser grossen italienischen Renaissance-Künstler gesagt. (Ich kann Michelangelo und Leonardo da Vinci ganz schlecht auseinanderhalten – einer von beiden war‘s). Was wir nicht wirklich erlebt und empfunden (gefühlt) und so buchstäblich erfahren haben, können wir uns schlecht vorstellen, glauben es nicht, (wenn es uns nicht in den Kram passt), und wehren uns dagegen reflexartig, (wenn wir uns von der damit verbundenen ‚Sicht der Dinge‘ oder Wahrheit bedroht fühlen.) Und der grosse Wissenschaftler Max Planck hat gesagt: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“  Das – so denke ich – gilt auch für politische Wahrheiten:

Das Frauenstimmrecht ist eine solche politische Wahrheit.

Das Urteil darüber, in wie weit diejenigen ausgestorben sind, die die Rechte der Frauen, die Gleichstellung des Weiblichen, die Realitäten, Nöte und Bedürfnisse weiblicher Existenzen nicht wahrnehmen und nicht wahrhaben wollen, geschweige denn, für wichtig halten was Frauen in ein – oft sehr männliches dominiertes Umfeld –  einbringen können, überlasse ich der Erfahrung und Beobachtungen meiner LeserInnen.

 

Ob also die Gesellschaft eine andere geworden ist

Im Frauenkulturarchiv Graubünden haben wir immer mal wieder Studierende oder Maturanden und Maturandinnen, die Material für ihre Abschlussarbeiten suchen. Die Betreuung dieser jungen Leute macht besonders Spass, weil sie frischen Wind in gängige Fragestellungen bringen. Das ist sehr erfreulich. Im Zentrum steht nun das Frauenstimmrecht mit seinen Auswirkungen auf die heutige Politik und Gesellschaft. So interessiert etwa, wie Frauen die Bündner Politik und die Abstimmungen beeinflussen und wie sich das Stimmrecht auf die kantonalen Vorlagen auswirkt. Ob also die Gesellschaft eine andere geworden ist durch das Stimm- und Wahlrecht der Frauen.

Damit eröffnen sich nicht nur für die Studierenden neue Erkenntnisse, sondern auch für unser Archiv. Denn solche Fragen spornen uns an Kontakte, z. B. zu Politikerinnen, herzustellen oder neue Wege für die Recherchen zu finden. Denn das Material zur Frauen- und Geschlechtergeschichte ist – wie wir alle wissen – äussert knapp bemessen, da, wo illustre Personen fehlten, die ihren Nachlass in ein Archiv gaben oder ganz besonders auch da, wo die ältere Generation von meist Archivaren solche Unterlagen nicht für archivwürdig befand oder sich aus anderen Gründen nicht darum bemühte.

Das Frauenkulturarchiv Graubünden ist 1997 als Stiftung gegründet worden. Gerade in einer Zeit, als die Pionierinnen des Frauenstimmrechts noch rüstig waren und ihrer Dynamik folgend, Material und Dokumentation wie Mediensammlungen und einschlägige Bücherreihen ins Archiv gaben. In Graubünden sei an Isa Hämmerle-Planta (1922-2012) erinnert, die als Präsidentin der Frauenzentrale Graubünden einen beharrlichen Kampf für das Frauenstimmrecht führte oder die 2008 verstorbene Elisabeth Lardelli-von Waldkirch, ursprünglich eine Bernerin, die als Juristin und erste Bündnerin mit Anwaltspatent in Graubünden sehr engagiert war und als Politikerin und wiederum erste Bündner Nationalrätin für die Gleichstellung Zeichen setzte. Leider ist es gerade im letzteren Fall nicht gelungen, einen Nachlass zu erhalten, was bedauerlich ist.

Die Maturandin, die im Frauenkulturarchiv Graubünden recherchiert hat, erstellt eine Webseite zum Frauenstimmrechtsjubiläum. Darin wird sie ihre Forschungsergebnisse als Multimedia Reportage veröffentlichen. Darauf dürfen wir gespannt sein!

Dr. phil. Silke Margherita Redolfi, Leiterin Frauenkulturarchiv Graubünden, www.frauenkulturarchiv.ch

Silke Margherita Redolfi ist freischaffende Historikerin und Archivarin sowie Leiterin des Frauenkulturarchivs Graubünden, das sie 1997 mitbegründet hat. Sie hat 2019 ihre Dissertation „Die verlorenen Töchter“ zum Verlust des Schweizer Bürgerrechts bei der Heirat eines Ausländers veröffentlicht. Silke Margherita Redolfi wohnt in Masein (GR).

Gosteli-Stiftung – das Gedächtnis der Schweizer Frauen

Wussten Sie, dass …

  • Frauen in der Schweiz bereits im Jahr 1905 eine bessere Versorgung der Verdingkinder anstrebten und im selben Jahr den Slogan „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ propagierten?
  • sich 1896 schon rund 100’000 Frauen in etwa 5’000 Vereinen für die Allgemeinheit und das öffentliche Wohl engagierten?
  • sich der Bundesrat bereits 1957 vorbehaltlos für das Frauenstimmrecht aussprach?
  • es aber auch Frauen gab, die kategorisch gegen das Stimmrecht waren?
  • die Frauen auch zu „sogenannt“ männlichen Themen wie dem Fabrikgesetz, wirtschaftlichen Fragen oder der Atomenergie Stellungnahme bezogen?

Banner der Frauenkonferenzen Bern, 1905 (AGoF Bro 8977)

Alle Informationen zu diesen Tatsachen und manches mehr sind in der Gosteli-Stiftung, dem Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung, zu finden.

Wir beherbergen über 450 Archivbestände, davon etwa die Hälfte von Organisationen und Vereinen, z.B. Alliance F, Evangelische Frauen Schweiz EFS, Schweizerische Gesellschaft Bildender Künstlerinnen SGBK. Die andere Hälfte umfasst persönliche Nachlässe von Frauen, die in Politik, Wirtschaft, Bildung, Kultur oder Gesellschaft in den letzten 150 Jahren eine wichtige Rolle gespielt haben, z.B. die Politikerin Marie Boehlen, die Juristin Gertrud Heinzelmann oder die Unternehmerin und Wirtschaftspionierin Else Züblin-Spiller. Zum Archiv gehören auch eine Fachbibliothek und eine über 10’000 Dossiers umfassende Zeitungsausschnittsammlung. Aneinandergereiht würden alle Unterlagen in unserem Archiv etwa einen Kilometer ergeben.

Einblick in eine der Soldatenstuben, die Else Züblin-Spiller gründete (AGoF 180 : 81-37)

Diese Dokumente zeugen davon, wie sich Frauen seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz in vielfältigster Art engagiert und die neuere Geschichte der Schweiz, ohne selber politische Rechte zu besitzen, trotzdem mitgeprägt haben. Die Frauen erhielten die politischen Rechte auf nationaler Ebene bekanntlich erst 1971, sie nahmen aber mit ihren Organisationen an der Gestaltung der Gesellschaft wirksam teil.

Marthe Gosteli im Archiv, Foto: Elsbeth Boss

Unsere Gründerin und Stifterin Marthe Gosteli (22.12.1917 – 17.04.2017) war selbst aktiv in der Frauenbewegung und kämpfte für das Frauenstimmrecht. Sie erkannte, dass die Frauenverbände über umfangreiches Archivmaterial verfügten, diese Dokumente aber verstreut, schwer zugänglich und ungeordnet waren. Die Historikerin Prof. Beatrix Mesmer der Universität Bern bestätigte diese Missstände.1982 gründete Marthe Gosteli die Stiftung und das Archiv mit der Überzeugung, dass „ohne Gleichberechtigung in der Geschichte die Frau nie gleichberechtigt sein wird“. Die grossen Leistungen ihrer Vorgängerinnen und Mitstreiterinnen durften nicht in Vergessenheit geraten. Es war das Ziel von Marthe Gosteli, mit ihrem Archiv die Taten von Frauen für künftige Generationen zu sichern und im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Marthe Gosteli hat damit nicht nur als Frauenrechtlerin, sondern auch als Archivarin und Chronistin der Frauenbewegung Pionierarbeit geleistet. Sie hat den Grundstein dazu gelegt, dass wir heute im Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung einen landesweiten professionellen Service public leisten können.

Die Archivalien und Dokumente aufzuarbeiten und zugänglich zu machen, sind zentrale Aufgaben der Stiftung. Damit werden die Unterlagen für Forschung und Öffentlichkeit verfügbar und können in Wissenschaft, Bildung und Allgemeinwissen einfliessen. So erschliessen wir die Unterlagen in Online-Datenbanken nach internationalen Archiv- und Bibliotheksstandards. Die Materialien sind öffentlich, d.h. für alle Interessierten unentgeltlich zugänglich.

Archiv Verband bernischer Landfrauenvereine, bei den Hühnern, ca. 1928 (AGoF 139-41-08)

Wir – ein Team von drei Fachfrauen mit Teilzeitpensen – legen grossen Wert auf die Beratung im Archiv vor Ort. Wir pflegen aber auch vielfältige Kontakte mit schriftlichen und telefonischen Auskünften. Wir beantworten nicht nur Anfragen zu den Hintergründen des Frauenstimmrechts, sondern recherchieren z.B. nach Eingaben der Frauenorganisationen zum Eherecht, stellen Unterlagen zur Hühnerhaltung, zur Geschichte des Welschlandjahrs oder zur Entwicklung der Pflegeberufe zusammen oder gehen der Frage eines Frauenverbands nach, woher die Biene in ihrem Logo stammt.

Wer recherchiert im Archiv? Unsere Benutzerinnen und Benutzer sind unterschiedlich: Viele Studierende und Forschende besuchen uns, so entstehen jedes Jahr Hochschularbeiten auf der Grundlage unserer Bestände. Schülerinnen melden sich, die für ihre Maturarbeiten überhaupt erstmals in Kontakt mit Archivalien und alten Handschriften kommen, oder Medienschaffende, die nach Bild- oder Informationsmaterial für ihre Beiträge recherchieren. Auch Vertreterinnen von Frauenorganisationen kommen, um Einblick in ihre Geschichte zu erhalten, wenn beispielsweise ein Jubiläum vor der Türe steht. Filme entstehen dank unserem Archiv: Die Regisseurin Petra Volpe hat für „Die göttliche Ordnung“ intensiv in unseren Beständen recherchiert.

Im Hinblick auf 2021 „50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht“ sind wir in regem Kontakt mit verschiedenen Museen und ProjektmitarbeiterInnen, die für ihre Vorhaben zum Jubiläumsjahr Materialien und Informationen aus unserem Archiv zusammentragen.

Petition für das Frauenstimmrecht, 1929 (AGoF Fotosammlung)

Die Frauenbewegung hat ihre Anliegen und die Vorgehensweise der jeweiligen Zeit angepasst. Als Dokumentationsstelle verfolgen wir auch die aktuellen Debatten und haben z.B. Zeitungsartikel, Broschüren, Flyer und Aufrufe zum Frauenstreik 2019 bei uns archiviert. Wir übernehmen weiterhin gezielt Bestände und Nachlässe von Frauen und Frauenorganisationen. So durften wir vor kurzem den Nachlass von Annemarie Rey entgegen nehmen, die sich unermüdlich für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs einsetzte, oder das Archiv des Schweizerischen Gärtnerinnenvereins, der sich für bessere und gerechtere Arbeitsbedingungen engagierte und sich nach 102 Jahren Vereinstätigkeit aufgelöst hat.

Flugblatt aus dem Archiv der Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch (AGOF 326)

Archivierung und Wissensvermittlung sind nicht gratis. Die Stiftung muss jährlich ein Defizit von durchschnittlich CHF 120‘000 aus ihrem schrumpfenden Vermögen decken. Für die langfristige Sicherung von Stiftung und Archiv und um mit dem digitalen Zeitalter Schritt zu halten, sind Beiträge Dritter notwendig. Der Stiftungsrat strebt eine Mehrsäulenfinanzierung an: Eigenwirtschaftlichkeit, Spenden, Unterstützung durch die abliefernden Frauenorganisationen sowie regelmässige Beiträge der öffentlichen Hand. Der Kanton Bern hat in Beantwortung einer Motion aus dem Jahr 2017 Beiträge in Aussicht gestellt, sofern auch der Bund Beiträge spricht.

Im Juni 2019 hat die Gosteli-Stiftung ein Gesuch um Fördergelder an den Bund eingereicht. Das Gesuch wird derzeit vom Schweizerischen Wissenschaftsrat und vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geprüft. Der Nationalrat und die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerats haben bereits beantragt, den Erhalt und die Weiterentwicklung des Archivs sicherzustellen: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20203006

Die Quellen zur Geschichte der Frauen und Frauenbewegung in der Schweiz sind kontinuierlich am Wachsen. Die Gosteli-Stiftung stellt die Grundlagen sicher, um die Schweizer Frauengeschichte jetzt und zukünftig zu erforschen. Willkommen zum Besuch und zur Recherche!

Besuch im Archiv digital: Video Porträt über die Gosteli-Stiftung produziert anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Burgergemeinde Bern 2017. 

 

Frauenstreik 14. Juni 2019 „Wir machen weiter“ – 14. Juni 2020

Vor einem Jahr war frau am Formulieren, am Organisieren, am Transparente malen für den zweiten nationalen Frauenstreik. Gleiche Rechte für alle* stehen als Forderung über allen Ansprüchen, die bis heute unerfüllt sind, wie Anerkennung und gerechte Verteilung der Haus- und Care-Arbeit, gleicher Lohn für Frau und Mann, Stopp häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung, Stopp geschlechtsspezifische Stereotypen in Kultur, Medien, Erziehung und Werbung. Was am 14. Juni 2019 geschah, übertraf alle Erwartungen: Bis in die Winkel der Schweiz gingen Frauen* und auch Männer – über 500 000 Menschen – auf die Strasse: freudvoll, friedlich und gleichwohl sehr bestimmt. Ein unvergesslicher Tag für viele, auch für mich.

Foto: C. Speitel

Foto: C. Speitel

 

 

 

 

 

 

Bildet Banden! Dieser Aufruf befeuerte. Inspiriert vom 14. Juni 2019 verbündeten sich zum Beispiel Schauspielerinnen. Im Januar 2020 publizierten sie ihr „Manifest für Gleichstellung und Diversität im Film und auf der Bühne. Wo sind die weiblichen Rollen, die für Inhalt stehen statt für Dekoration? Wo bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Wo gibt es im Drehbuch Rollen für Frauen über 40ig? Die Frauen von FemaleAct verlangen „ein Umdenken und Aktualisieren veralteter, diskriminierender und stereotyper Geschlechterrollen und deren Darstellung. (…) Wir fordern mehr diverse Sichtbarkeit in Bezug auf Alter, soziale sowie geografische Herkunft, Aussehen, sexuelle Orientierung und Be-Hinderung im Film und auf der Bühne.“ www.femaleact.ch

Foto: FemaleAct

Foto: C. Speitel

 

 

 

 

 

 

Die vom nationalen Frauenstreik 2019 ausgelösten Kräfte manifestieren sich in der aktuell von Covid-19 bestimmten Zeit umso nachdrücklicher. Mitglieder der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen EKF haben aus wissenschaftlicher und beruflicher Sicht ihre ersten Erkenntnisse publiziert unter dem Titel „Stimmen zu Corona“:

  1. Beobachtungen zum Arbeitsmarkt: Warum klatschen nicht reicht und welche Unterstützung Care Arbeiterinnen in Privathaushalten bräuchten.
  2. Das männliche Gesicht der Krise – ein feministischer Ausstieg?
  3. Care, häusliche Gewalt und Freiwilligenarbeit: Erkenntnisse und Empfehlungen zur Corona Krise

Fragen und Forderungen werden aus Frauen- und Geschlechterperspektive auf den Punkt gebracht. www.frauenkommission.ch und auf Twitter @ekf_cfqf.  

Ich empfehle die Lektüre dieser Serie.

Foto: C. Speitel

Foto: C. Speitel

 

 

 

 

 

 

Im Vorfeld der jetzigen Sommersession der eidgenössischen Räte verbündeten sich über fünfzig Frauenorganisationen mit mehr als zwei Millionen Frauen. Auch unser Verein CH2021 hat den dringenden Appell unterschrieben. Er richtet sich an den Bundesrat und das Parlament: „Vergesst die Frauen* nicht! Ihre geleistete Arbeit in der Krise ist lebenswichtig!“ Die zentrale Forderung für die Bewältigung der Corona Krise heisst in diesem Appell: „Wir bestimmen mit am Verhandlungstisch. (….) Die Finanzierung der Krise in der Schweiz darf nicht auf dem Rücken der Frauen* geschehen.“

Lesen Sie den Appell an den Bundesrat und das Parlament

Foto: Grève féministe Genève

Foto: Grève féministe Genève

 

 

 

 

 

 

Der Appell an den Bundesrat und das Parlament ist ein medienwirksames, starkes Manifest – aber dieses ist längst nicht das einzige. Für den 8. März und mit Blick auf den 14. Juni 2020 sind lokale Gruppierungen wieder aktiv geworden. Sie haben sich online getroffen und ausgetauscht, teilweise über die Sprachgrenzen hinaus. Mehrere Frauen*Streik-Kollektive haben ihre eigenen Grundsatz-Texte formuliert und verabschiedet, z.B. in Zürich oder in Genf.

Foto: Grève féministe Genève

Foto: C. Speitel

 

 

 

 

 

 

Im März 2020, als die behördlichen Anordnungen infolge des Coronavirus unser Leben immer stärker beeinflussten, begannen einige junge und ältere Frauen* vom feministischen Streikkomitee Basel die Situation zu beobachten. Sie analysierten, wie sich das Leben gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich immer aussergewöhnlicher entwickelte. Daraus entstand das aus ihrer Sicht verfasste CAREONA Manifest zu Umverteilung von Macht, Geld, Zeit und Raum. Es sind visionäre Forderungen, aus denen sie in einem nächsten Schritt politische Forderungen ableiten wollen, um diese in entsprechender Form auf Kantons- oder Bundesebene einzubringen.

Foto: C. Speitel

Foto: C. Speitel

 

 

 

 

 

 

Die Liste der Forderungen lässt mich an die Philosophin Carolin Emcke denken, die kürzlich in der Sternstunde von srf zu Gast war (Zum Video, Gespräch ab 30:05 Min). Sie sprach darüber, wie die Corona Krise uns dazu bringe, viele unserer Gewohnheiten, die wir bisher lebten, zu befragen und zu verhandeln. In diesem Sinne verstehe ich die Stimmen vom CAREONA Manifest des feministischen Streikkomitees Basel.

 

Forderungen

Wir sind nicht mehr bereit, das aktuelle System mit seiner Verteilung von Macht, Geld, Zeit und Raum zu akzeptieren, sondern fordern eine solidarische, basisdemokratische, ökologische, diskriminierungsfreie und umsorgende Gesellschaft ohne Maximierung von Profiten.

Umverteilung von Macht

  1. Der Care-Bereich soll sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Der Care-Bereich darf nicht nach kommerziellen Prinzipien der Wirtschaftlichkeit wie die Güterproduktion funktionieren! Menschen sind keine Waren!
  2. Wir fordern den Einbezug der Kompetenzen der Arbeitenden durch ein Mitbestimmungsrecht zur Art und Weise, wie betreut, gepflegt, unterrichtet und gereinigt wird.
  3. Gesellschaftlich unerlässliche Infrastrukturen wie Spitäler, Pflegeheime, Kitas müssen als Service Public organisiert sein und als bedürfnisorientierte Dienstleistungen allen zur Verfügung stehen.
  4. Keine Toleranz gegenüber physischer und struktureller Gewalt aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Sexualität.
  5. Dort wo Menschen leben und arbeiten, muss ihr Aufenthalt gesichert und ihre politischen Rechte müssen garantiert sein. Ein ernstgemeinter Applaus fordert daher die dringende Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse von Care-Arbeitenden, u.a. mit geregeltem, unabhängigem, gesichertem und auch verbessertem Aufenthalts- oder Bürgerrecht und die Garantie der politischen Teilnahme.

Lesen Sie das vollständige CAREONA Manifest: Forderungen zu Umverteilung von Macht, Umverteilung von Geld, Umverteilung von Zeit, Umverteilung von Raum

 

#fraulenzen #queerstellen lauten Parolen für den bevorstehenden Frauenstreiktag. Trotz erschwerter Bedingungen durch Corona laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Schutzkonzepte werden formuliert, Anträge für Gruppendemonstrationen geschrieben, Banner gemalt… Wer, wie, wo für Frauen*rechte einstehen, demonstrieren, reden, singen, tanzen, spielen, Lärm machen oder eine Fahne aufhängen wird, das bewahrheitet sich am Sonntag 14. Juni 2020.

Lesen Sie den Aufruf „Feministisch Pausieren, Kollektiv Organisieren“

Vom Frauenstimmrecht zur Repräsentation und weiter

Es gibt zwei Themen, die in meinem Umfeld für kuriose Überraschungen sorgen: Das noch so junge Schweizer Frauenstimmrecht und der feministische Nährboden einer Organisation, die «katholisch» im Namen trägt, der Schweizerische Katholische Frauenbund.

Als gebürtige Berlinerin mit polnischer Mutter und italienischem Vater, dafür ohne deutsche Staatsbürgerschaft – und somit ohne Wahlrecht – habe ich früh gemerkt, was es bedeutet, politisch nicht partizipieren zu können. Zumindest nicht im Land meines dauerhaften Aufenthalts. Ich erinnere mich an die Besuche im polnischen und italienischen Konsulat, um meine Stimme abzugeben, wenn in den Heimatländern meiner Eltern Wahlen anstanden. Aber auch an das Gefühl, die politischen Debatten Deutschlands mitzufühlen, aber nicht mitzugestalten.

Katholisch und feministisch?

Wenn ich Berlin besuche und auf Menschen treffe, kommen wir schnell auf die Schweiz zu sprechen und darauf, was ich da so treibe. Sobald ich erzähle, dass ich für den Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF tätig bin, ernte ich oft irritierte Blicke. Sie wandeln sich jedoch schnell in staunende Anerkennung, wenn ich von den Aktivitäten des Verbandes erzähle und sein Engagement für Geschlechtergerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft darlege. Die Überraschung ist gross – in Berlin wie in Bern. Spätestens wenn ich verkünde, dass sich der SKF für die Ehe für alle einsetzt, ist bei meinem Gegenüber der maximale Kontrast zu dem erreicht, was er oder sie sich unter einer katholischen Organisation vorstellt.

Schweiz? Da war doch was!

Die Schweiz bedeutet für viele meiner Verwandten im Ausland Berge, Schokolade und Direktdemokratie. Aber Moment, da war doch noch etwas mit dem Frauenstimmrecht, oder? In Polen erhielten Frauen ab 1918 das Wahlrecht. Sie nahmen nicht nur ihr Recht als Wählerinnen wahr, sondern kandidierten auch für das Parlament. Zu dem Zeitpunkt ist in den historischen Sitzungsprotokollen des SKF von 1919 zu lesen, dass das Frauenstimmrecht eine Überforderung der Frau sei und Leib und Seele gefährde. Diese Haltung hält sich im SKF nicht lange. Spätestens ab den 50er Jahren weht ein ganz anderer Wind durch die Aufzeichnungen.

Der SKF und das Frauenstimmrecht

1957 entschliesst sich der SKF zur aktiven Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft für die politischen Rechte der Frau. Ein Jahr später diskutiert der Vorstand die Ziele einer meinungsbildenden Tagung zum Thema Frauenstimmrecht. Die damalige SKF-Präsidentin Elisabeth Blunschy-Steiner (die 1977 notabene als erste Nationalratspräsidentin Geschichte schreibt) befand, «der SKF muss Stellung beziehen in einer Angelegenheit, wo es sich nicht um eine Glaubenssache handelt». Die Tagung wird als ausserordentliche Delegiertenversammlung durchgeführt und dazu genutzt, um im Rahmen der ersten nationalen Abstimmung für ein «Ja zum Frauenstimmrecht» zu politisieren.

Dass dieses von den ausschliesslich männlichen Stimmberechtigten zu zwei Dritteln abgelehnt wird, entmutigt den SKF nicht. Der Verband sensibilisiert weiter und bietet seinen Mitgliedern «staatsbürgerliche Kurse» an, in denen sich die Teilnehmerinnen mit dem Frauenstimmrecht auseinandersetzen und eine fundierte Haltung einnehmen können.

1971 – der Mauerfall der Schweizer Frauen

An der SKF-Generalversammlung vom 4. Juni 1970 hofft die abtretende Präsidentin Yvonne Darbre in ihrer Abschiedsrede, dass die «Rückständigkeit der Schweiz mit der Annahme des Frauenstimmrechts aufgeholt» werde.

Zur zweiten Abstimmung auf Bundesebene gibt der SKF keine Wahlempfehlung ab. Trotz der progressiven Haltung der scheidenden Präsidentin und ihrer Nachfolgerin Anne Marie Höchli-Zen Ruffinen, beschliesst der SKF Zurückhaltung. Grund dafür sind die unterschiedlichen Haltungen innerhalb des Verbandes. Der Verbandsvorstand aber will nur mit einer konsolidierten Haltung auftreten.

Mit der Annahme des eidgenössischen Stimm- und Wahlrechts für Frauen am 7. Februar 1971 wandelt sich der SKF. Der Verband sieht sich als Vermittler politischer Fragen und erkennt, dass es ein wichtiger Organisationszweck ist, den politischen Interessen von Frauen zum Durchbruch zu verhelfen. Heute bringt das grosse Frauennetzwerk sein Gewicht als Vernehmlassungspartner des Bundes und in Form vieler Bündnisse in die politische Diskussion ein.

Zurück in die Zukunft

Im kommenden Jahr wirft die Schweiz einen Blick zurück und honoriert die über 100 Jahre Arbeit auf allen politischen Ebenen, die nötig waren, sodass wir 2021 50 Jahre Frauenstimmrecht zelebrieren können. Wie bauen wir diese Errungenschaft weiter aus?

Der Diskurs um die politische Repräsentation von Frauen während der Schweizer Parlamentswahlen 2019 hat eindrucksvoll bewiesen, dass ein Weg vor uns liegt, den es sich zu beschreiten lohnt: Es kandidierten nicht nur mehr Frauen für politische Ämter, sie wurden auch häufiger gewählt. Sowohl im Ständerat als auch im Nationalrat stieg der Frauenanteil auf ein historisches Hoch. Der Kampf um politische Teilhabe endet nicht mit dem Frauenstimmrecht und angemessenerer Vertretung. Vielmehr sind dies die demokratischen Rahmenbedingungen dafür, dass Frauen im kooperativen Miteinander einer Demokratie Gesellschaft aktiv mitgestalten. In Zukunft wird diese Gesellschaft daran gemessen, wie sie mit der Vielfalt ihrer Bevölkerung umgeht und ob sie es schafft, ihr mit dem demokratischen Gleichheitsversprechen zu begegnen.

Demokratie ist Vielfalt

Die Vielfalt prallt noch immer auf Hürden, die der Gleichheit im Wege stehen. Gleichheit muss sich auch in Lohnabrechnungen von Männern und Frauen widerspiegeln, in gleicher Verteilung unbezahlter Familien- und Betreuungsarbeit, in gleichen Möglichkeiten nach der Geburt eines Kindes (Eltern)Zeit aufzuwenden, in gleichen Rechten für Homosexuelle eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Unsere Sprache kann noch einen Hauch Gleichheit vertragen. Sie ist Ausdruck des Denkens und zu oft noch Ausdruck eines patriarchalen Erbes, welches tradierte Geschlechterrollen durch Sprache zementiert. Unsere juristischen Einschränkungen könnten eine Prise Gleichheit vertragen, sodass die politischen Haltungen von Menschen mit Niederlassungsbewilligung berücksichtigt werden. Die römisch-katholische Amtskirche, die Frauen noch immer – entgegen unserer demokratischen Verfassung – aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, könnte sogar eine ganze Menge Gleichheit vertragen. Dafür engagiert sich der SKF.

Der Vielfalt gerecht zu werden macht unsere Demokratie stärker. Haben wir den Mut, die Dinge zu ändern, die wir ändern können. Es lohnt sich! Das haben die mutigen Vorreiterinnen bewiesen, denen wir 50 Jahre Schweizer Frauenstimmrecht verdanken.

Sarah Paciarelli, SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund, Kommunikation

Edit-a-thon „Frauen für Wikipedia“

Wo sind die Frauen auf Wikipedia? Rund 16 % der Biografien handeln von Frauen auf der deutschsprachigen Seite von Wikipedia. Am Schweizer Edit-a-thon „Frauen für Wikipedia“ versammeln sich seit November 2018 erfahrene und lernende Schreiber*innen mit dem Ziel, Frauen auf der wichtigsten Informationsseite der Welt sichtbar zu machen, zuletzt am 30. April. Muriel Staub ist Mitbegründerin und Co-Organisatorin des Edit-a-thon. Ausgebildet an der Hochschule für Wirtschaft St. Gallen, arbeitet sie beruflich für die globale Bürgerbewegung Avaaz. Wie funktioniert Wikipedia? Wie entsteht ein Biografie Eintrag? Was kann ein Edit-a-thon für CH2021 leisten? Cécile Speitel hat mit Muriel Staub gesprochen.

CS: Muriel Staub, was fasziniert Sie an der freien Enzyklopädie Wikipedia, dass Sie sich dafür engagieren?

MS: Ganz unterschiedliche und viele Dinge. Mich fasziniert, wenn ich sehe, wie Tausende von Menschen gemeinsam an einem Projekt arbeiten, das allen Menschen zugutekommt – was ohne das Internet nicht möglich wäre. Die Wikipedia hat in diesem Zusammenhang in Polen ein Denkmal erhalten als “grösstes je von Menschen erstellte Projekt”. Ich bin begeistert von all den ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren, die jeden Tag die Wikipedia ergänzen, aktualisieren und pflegen. Jeder Wikipedia-Artikel hat eine eigene Versionsgeschichte, aus der ersichtlich wird, wann er von wem bearbeitet wurde, und was genau geändert wurde. Das finde ich etwas vom Tollsten an Wikipedia, dieses Logbuch, das volle Transparenz und Nachvollziehbarkeit garantiert. Da steckt eine unglaubliche Arbeit dahinter. Die Wikipedia ist heute nicht mehr weg zu denken und eine Wissens-Infrastruktur, die für uns inzwischen fast zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Aber das ist sie eben nicht. Nebst einer Faszination schwingt genau darum auch sehr viel Dankbarkeit mit für dieses wunderbare Projekt, das zurzeit in der Schweiz die fünft meist besuchte Webseite ist.

Um Frauen auf Wikipedia sichtbar zu machen, haben Sie, gemeinsam mit der Wirtschafts-journalistin Patricia Laeri und mit Katia Murmann, Leiterin Digital der Blick-Gruppe, den Edit-a-thon „Frauen für Wikipedia“ ins Leben gerufen. Auf der Webseite geben Bilder Einblick, wie Teilnehmer*innen konzentriert nebeneinander an ihren Laptops schreiben. Wie läuft ein solcher Edit-a-thon konkret ab?

Die letzten vier Veranstaltungen waren unglaublich gut besucht, und die Stimmung war grossartig. Urspünglich haben wir den Edit-a-thon zu dritt initiiert, aber inzwischen fühlt es sich eher an wie eine Bewegung – viele weitere Menschen sind dazugestossen. An den Anlässen selbst schauen wir zuerst, dass alle mit den notwendigen Informationen versorgt sind, damit sie anschliessend einen Wikipedia Artikel verfassen können. Wir weisen darauf hin, dass jeder Satz und Abschnitt in einem Wikipedia-Artikel mit Quellen belegt werden sollte, damit für die Leser*innen klar ist, von wo die Information im Wikipedia Artikel stammt. Und wir erklären, dass es in der Wikipedia sogenannte Relevanzkriterien gibt, an denen man sich orientieren sollte. Danach geht es los mit Recherchieren und Schreiben. Es wird aber auch diskutiert, wir tauschen uns aus und helfen einander gegenseitig. Es ist ein wahnsinnig inspirierendes und produktives Umfeld. Ich erlebe die Teilnehmenden jeweils voller Tatendrang, sie sind sehr motiviert, und ich habe immer das Gefühl, in diesem Moment Teil einer grösseren Bewegung zu sein.

Die drei Initiatorinnen Katia Murmann, Muriel Staub und Patrizia Laeri (v. l.) © CC-BY-SA Muriel Staub

Diese Relevanzkriterien, die für das Erstellen von Wikipedia Artikeln gelten, entpuppen sie sich für das Verfassen von Biografien nicht auch als Hemmschuh, weil sie aus einem wissenschaftlichen, männlich geprägten Verständnis, stammen?

Die Kriterien, wie wir sie heute vorfinden, sind vielfach Ergebnisse mehrjähriger Konsens-findungsversuche. Ich kann z.B. einen Artikel über eine Architektin schreiben, wenn sie einen national oder international bedeutsamen Architekturpreis gewonnen hat. Oder über eine Schriftstellerin, wenn sie beispielsweise zwei Monografien (Belletristik) oder vier Sachbücher geschrieben hat. Die Relevanzkriterien gelten für alle Menschen gleich, unabhängig von ihrem Geschlecht. Jedoch ist es sicher so, dass diese Kriterien die bestehenden Missverhältnisse reproduzieren. Aber das Fantastische ist: Diese Relevanzkriterien sind nicht fix, sondern können stets neu ausgehandelt werden.

Wikipedia, vor 19 Jahren gegründet, hat sich über alle Kontinente verbreitet mit Tausenden von Menschen, die an dieser Enzyklopädie mitschreiben – wer bestimmt da die Kriterien?

Das sind die ehrenamtlichen Autor*innen und Autoren – so wie sie die Wikipedia Artikel aushandeln, vereinbaren sie auch diese Relevanzkriterien. Sie können sich vorstellen: Die Community – also die ehrenamtlichen Verfasser*innen –  organisiert sich nach demokratischen und meritokratischen Grundprinzipien. Die Communityist ständig aktiv am Diskutieren und Aushandeln, das ist ein richtig lebendiges, dynamisches System. Heute finden Sie auf der deutschsprachigen Wikipedia 2‘430‘353 Artikel, und in den letzten 30 Tagen waren 20‘108 Benutzer*innen aktiv (sprich haben mindestens eine Bearbeitung vorgenommen). Die Wikipedia existiert in 308 Sprachversionen, u. a. auch in Rätoromanisch oder Esperanto.

Nun können, aus welchem Interesse auch immer, aufschlussreiche Informationen bei Seite gelassen werden. Haben Sie nie Zweifel an der Verlässlichkeit der Informationen?

Bei Wikipedia können wirklich alle Menschen mitschreiben, d.h. jeder und jede kann einen Eintrag bearbeiten oder verfassen. Die Wikipedia beruht auf dem Vielaugenprinzip, d.h.
es gibt eine Art gegenseitige Beobachtung. Da das ganze System sehr transparent ist, ist es für alle nachvollziehbar, wer was genau zu welchem Zeitpunkt ändert. Das erlaubt auch eine gewisse gegenseitige Kontrolle. Aber die Mitarbeit an der Online-Enzyklopädie appelliert auch an die Eigenverantwortung der Beitragenden – und die meisten Menschen haben zum Glück gute Absichten, das sehe ich immer wieder. Zu den Quellen gibt es in der Wikipedia Hinweise, welche Materialien als Belege genutzt werden sollten und wie man diese Belege prüfen kann.

Rund 80 Personen hatten sich für den letzten, vierten Edit-a-thon am 30. April angemeldet, der aus aktuellen Gründen digital durchgeführt wurde. Wie haben Sie dieses virtuelle Treffen bewältigt?

Die Vorbereitung war sehr intensiv. Das Event-Team vom Schweizer Radio und Fernsehen hat uns dabei sehr stark unterstützt. Vom Resultat bin ich begeistert. Die grösste Herausforderung war, die Teilnehmer*innen im Verlaufe der Veranstaltung ideal unterstützen zu können, ihre Fragen zu beantworten, wie z.B. ein Bild in einen Wikipedia Artikel eingefügt werden kann, wie es um die Bildrechte steht oder wie sich ein Artikel aus einer Sprache in eine andere übersetzen lässt. Mehr als 95 Beiträge wurden zusammengetragen. Ich bin sehr froh, haben wir diese Krise als Chance für den Edit-a-thon genutzt. Es gab sogar Live-Schaltungen zu einzelnen Teilnehmer*innen nach Hause, beispielsweise zu Nathalie Christen, Daniela Milanese, Annina Frey und Rosanna Grüter.

© CC-BY-SA Muriel Staub

Der Edit-a-thon vom vergangenen Herbst fand erstmals global statt. Zeitgleich wurde in Zürich, Berlin, London, Barcelona, Johannesburg, Buenos Aires, Ontario und Washington geschrieben. Heisst das, die Initiative „Mehr Frauen auf Wikipedia“ hat sich von der Schweiz aus über die Welt verbreitet?

Das war sicherlich ein erster Schritt in diese Richtung. Wir Organisatorinnen sind daran, uns auch vermehrt über die Schweizer Grenze hinaus zu vernetzen, mit ähnlichen Initiativen aus den deutschsprachigen Nachbarländern. Auch über die Sprachgrenze hinaus streben wir den Austausch an, z.B. mit Women in Red –einem Projekt in der englischsprachigen Wikipedia, das ebenfalls die online Enzyklopädie mit Frauenbiografien bereichern will. Wir können viel voneinander lernen.

300 neue Biografien Artikel über Frauen sind dank dem von Ihnen mitbegründeten Edit-a-thon bis heute entstanden. Gleichzeitig geht es ja darum, mehr Frauen als Autor*innen auf Wikipedia zu holen. Gemäss Umfragen sind 10 – 20 % der Autor*innen Frauen. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Das Ziel, mehr Frauen zum Mitschreiben zu bewegen, klappt mit diesem Format sehr gut. Wir stellen fest, dass einige Frauen immer wieder am Edit-a-thon teilnehmen – einige von ihnen waren bereits zum vierten Mal in Serie mit dabei, das freut uns natürlich unglaublich. Andere haben zum ersten Mal teilgenommen, was ich toll finde. Diese Mischung macht’s aus für mich. Und wenn jemand mal einen Abend lang Wikipedia-Artikel bearbeitet oder erstellt hat, dann ist die Hürde in Zukunft viel kleiner, um auch im Alltag eine kleine Korrektur oder Ergänzung vorzunehmen.

© CC-BY-SA Muriel Staub

Aus welchen Bereichen kommen die Teilnehmenden?

Die meisten haben eine journalistische Ausbildung und/oder arbeiten im Bereich Journalismus und Medien. Unser Anlass zielt auf diese Zielgruppe ab. Es gibt in der Schweiz viele weitere ehrenamtliche Wikipedia-Autor*innen, die solche Schreibveranstaltungen für ein anderes Publikum organisieren. Oft werden sie in Zusammenarbeit mit Vereinen oder Partnerorganisationen durchgeführt. Zu finden z.B. auf WikiProjekt Schweiz/Atelier, Wikipedia:Zürich oder auf oder auf Wikimedia.

In der Trägerschaft des Edit-a-thons engagieren sich srf, Ringier und Wikimedia. Sie selbst haben u.a. für Wikimedia gearbeitet. Erstmals hörte ich von diesem Verein, als Sie als Vorstandsmitglied von Wikimedia an den diesjährigen Solothurner Filmtagen einen Edit-a-thon Workshop durchführten. Welche Rolle spielt dieser Schweizer Verein in unserer digitalen Welt?

Der Schweizer Verein Wikimedia CH unterstützt die Förderung von freiem Wissen. Einerseits steht Wikipedia als Projekt klar im Zentrum. Andererseits befassen wir uns mit zahlreichen weiteren Projekten, die das Ziel verfolgen, freies Wissen und offene Daten bereitzustellen, beispielsweise die Datenbank Wikidata oder die freie Bildersammlung Wikimedia Commons. Der Verein arbeitet auch mit zahlreichen Partnerorganisationen zusammen – mit Bibliotheken, Archiven oder Museen –, um schweizbezogene Inhalte auf der Wikipedia für alle frei zugänglich zu machen. Zusammengefasst: Wikipedia ist ein Projekt, und Wikimedia ist die “Organisation” hinter dem Projekt.

Was liegt Ihnen als Vorstandsfrau von Wikimedia besonders am Herzen?

Diversity ist ganz klar eine Priorität. Weitere Bereiche, wofür ich mich einbringe, sind strategische Partnerschaften und Fundraising. Die Wikipedia und ihre Schwesterprojekte werden nämlich alle durch Spenden finanziert.

2021 jährt sich zum 50. Mal die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Schweizer Frauen. Viele Frauen haben sich jahrelang dafür eingesetzt, dafür gekämpft – kann ein Edit-a-thon sie bekannt machen? 

Im November findet der nächste Schreibanlass statt. Ich fände es toll, wenn wir gemeinsam bis dahin eine Liste mit Namen solcher Frauen erstellen könnten, die noch keinen Wikipedia Artikel haben. So können wir das nämlich ändern und diese Frauen auch in der Wikipedia sichtbar machen.

Manche dieser Pionierinnen haben nichts publiziert, sie waren z.B. als Vorstandsfrauen aktiv oder in der Frauenbewegung. Welche Relevanzkriterien braucht es für sie?

Wiederkehrende und überregionale Berichterstattung über diese Frauen wäre hilfreich. Diese können als Belege und Quellen herbeigezogen werden. Aber auch Archivbestände könnten zum Zuge kommen. Wir werden uns mit dem Thema ausführlicher auseinandersetzen müssen, um zu sehen, was möglich ist. Und es scheint mir wichtig zu betonen: “Relevanzkriterien sind hinreichende, nicht aber notwendige Bedingungen für enzyklopädische Relevanz.”

Sollte sich die Leser*in von Ihren Ausführungen animiert fühlen, jetzt eine Frauenbiografie auf Wikipedia zu schreiben – welche Einstiegsempfehlung geben Sie?

Wagen Sie es, unbedingt! Wir haben Videos aufgenommen, wo Sie sehen, wie Sie ganz einfach bei Wikipedia mitmachen können, z.B. indem Sie damit beginnen, einen bestehenden Artikel zu ergänzen. Das Motto in der Wikipedia lautet: Sei mutig. In diesem Sinne: Viel Spass und danke, dass Sie mitmachen. Und falls Sie an einem Anlass teilnehmen möchten, finden Sie auf editathon.ch weitere Informationen.

Jetzt handeln, um 2021 Grund zum Feiern zu haben

Während wir uns fragen, wohin uns die Krise, die wir gerade erleben, führen wird, bereitet ein Thema Anlass zu grosser Sorge. Wie werden sich die Arbeitsbedingungen derjenigen entwickeln, die bereits den höchsten Preis zahlen, dabei aber bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen keinerlei Mitspracherecht haben (oder je hatten): die Frauen.

Sie stehen bei den Gesundheits- und Pflegeberufen an vorderster Front. Weltweit machen sie 70 % der Belegschaft aus, besetzen gleichzeitig aber nur ein Viertel der Führungspositionen und werden laut WHO und UNO im Durchschnitt 28 % schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Bedingungen, die schlicht nicht mehr hinnehmbar sind, angesichts der Risiken und Anstrengungen, denen die Frauen ausgesetzt sind, während sie sich für die gesamte Menschheit aufopfern.

Überall auf der Welt waren es die Frauen, die bei Ausbruch der Epidemie als Erste ihre bezahlte Arbeit aufgaben, um sich ohne Wenn und Aber um ihre Familien zu kümmern. Ob selbstständige Kosmetikerin oder Geschäftsführerin eines Grossunternehmens: Wir alle haben sofort auf die Notwendigkeit reagiert, uns um unsere Familien zu kümmern, insbesondere nachdem die Schulen schliessen mussten, die Krankenhäuser Infizierte mit schwachen Symptomen nicht mehr aufgenommen haben und ältere Menschen auf Hilfe angewiesen waren, um sich nicht der Ansteckungsgefahr auszusetzen.

Ganz zu schweigen von den zahllosen Frauen, die auf Abruf arbeiten: die Verkäuferinnen, die Coiffeusen, die Arbeiterinnen, aber auch die weiblichen Haushaltshilfen, die Babysitterinnen, die Betreuerinnen, sprich die ganze Bandbreite an wenig respektierten und schlecht bezahlten Jobs, die die Zeitung Repubblica als „den harten Kern der italienischen Wohlfahrt“ definiert hat. Man könnte auch sagen: der weltweiten Wohlfahrt. Bei all den Hilfsmassnahmen, die die Staaten derzeit ergreifen, gibt es keinerlei Unterstützung für die Berufe, denen Frauen im Zusammenhang mit ihrer unbezahlten Arbeit in den eigenen vier Wänden nachgehen und die laut McKinsey sage und schreibe 10 Billionen US-Dollar bzw. 13 % des globalen BIP ausmachen.

Das alleine wäre schon genug. Aber es kommt noch schlimmer, nämlich in Form von häuslicher Gewalt, die buchstäblich explodiert ist, seit sich die Familien in häusliche Zwangsquarantäne begeben mussten. Der Alarm, der von China in die Welt hinausging, hat sich in allen Ländern, die sich im Lockdown befinden, in derselben Geschwindigkeit verbreitet wie das Virus selbst.

Daher ist es nicht hinnehmbar, dass Frauen bei der Ausarbeitung von wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbauplänen fehlen und die Beseitigung der Geschlechterungleichheit kein strategisches und wirtschaftliches Ziel ist.

Die Federazione delle Associazioni Femminili Ticinesi FAFTPlus hat sich schriftlich an die Tessiner Regierung gewandt und anschliessend eine Online-Petition gestartet, in der sie Folgendes fordert:

  1. Qualifizierte Repräsentantinnen an den Orten des Wiederaufbaus zu Arbeits- und Entscheidungsprozessen, die eine Vielfalt an Visionen, die Erweiterung des Kompetenzspektrums und die Integration verschiedener Teile der Gesellschaft gewährleisten.
  2. Schliessung des Gender-Gaps als strategisches Ziel, insbesondere bei Prozessen der öffentlichen Ausgaben, unter Einbeziehung der auf dem Gebiet bereits vorhandenen Erfahrungen und Ressourcen zum Gender Budgeting, auch durch eine spezielle Task Force.
  3. Gender-Statistiken als Leitfaden für Interventionspläne nach Krisen und Gewährleistung effizienter Wiederaufbaumassnahmen unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und der unterschiedlichen Auswirkungen der Gesundheits- und Wirtschaftskrise.
  4. Die Sichtbarkeit weiblicher Kompetenz und der Rolle der Frauen bei Sanierungsaktivitäten, um die Präsenz von Frauen in den Medien und im öffentlichen und politischen Raum zu fördern, insbesondere von Expertinnen, die auf verschiedenen Ebenen in Arbeitsgruppen tätig sind. Die Vermittlung eines neuen Konzepts einer inklusiven Führung ist notwendig und entscheidend.

Der enorme Erfolg dieser Petition belegt, dass alle Bürger, Frauen wie Männer, die Gleichstellung der Geschlechter als ein Ziel betrachten, das nicht mehr aufgeschoben werden darf. Es ist Aufgabe der Politik, trotz und gerade angesichts der Notlage, in der wir uns befinden, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Im Jahr 2021 jährt sich das Frauenstimmrecht in der Schweiz zum 50. Mal, aber die aktuelle Pandemie droht den Status der Frauen noch weiter zu untergraben.

Wir müssen jetzt darüber nachdenken, welche Zukunft wir uns wünschen und welche Vision die Politik von sich, der Welt und der Rolle der Frau haben will. Nur so können wir dieses Jubiläum 2021 mit gutem Grund und Gewissen feiern.

Demokratie denken

2021 wird ein Demokratie-Jubiläumsjahr: Dann werden Schweizerinnen 50 Jahre die gleichen politischen Rechte haben wie die Schweizer. Ich finde, das ist ein guter Anlass, über Demokratie nachzudenken.

Sobald ich ‘Demokratie’ denke, geht mein Horizont über mich hinaus. Ich allein mache keine Demokratie aus. Ich richte also den Blick auf meine Mitwelt, beobachte wer und was auch noch – zusammen mit mir – unterwegs ist: das ist eine erste Herausforderung. Es bedeutet unter anderem auch die Erkenntnis machen, dass ich gar nicht überlebensfähig wäre ohne andere. Mein Bedürfnis nach unverwechselbarer Eigenständigkeit und Autonomie ist zwar wichtig und richtig. Unabhängigkeit ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist das Bedürfnis nach Kooperation, Akzeptiert- und Aufgehobensein. Je nach Situation richte ich meine Anstrengungen eher auf das Herstellen der einen oder der anderen Seite der Medaille.

Die Frage, wie ich eigenständig und autonom bin, kann ich erstmal mit mir selbst ausmachen. Da geht es um meine persönlichen Lebensentwürfe. Damit mein Bedürfnis nach Kooperation, Akzeptiert- und Aufgehobensein zum Tragen kommt, brauche ich andere Menschen, ja eine ganze Gesellschaft. Denn aufgehoben fühle ich mich erst, wenn ich Essen, Kleidung, Obdach habe und Gesundheit, Bildung, Kultur zugänglich sind. Wer bestimmt, welche dieser Güter unter welchen Bedingungen hergestellt und zugänglich gemacht werden? Wer ist aktiv beteiligt an der Herstellung und Verteilung dieser Güter? Wer bekommt wie Zugang dazu? Diese komplexe Organisation kann nach unterschiedlichen Prinzipien gestaltet werden. ‘Demokratie denken’ setzt da an und schlägt vor, dass wir das gemeinsam verhandeln und entscheiden.

Für das Jahr 2021 hoffe ich, dass ganz viele Personen sich Gedanken dazu machen, wie es war, als Schweizer immer wieder entschieden, dass nur Männer diese Verhandlungen führen und Entscheidungen treffen. Eine Realität, die ich als Mädchen erlebt habe. Mir war zum Beispiel überhaupt nicht erklärbar, dass meine Mutter, die unsere Familie ‘schmiss’, am Abstimmungssonntag kein Couvert einwerfen durfte und mit uns Kindern vor dem Abstimmungslokal warten musste, bis mein Vater wieder herauskam. Das prägt. Ich frage mich deshalb immer wieder, wo mir jeweils Rückstände davon wieder begegnen.

Ich freue mich auch sehr auf alle Erzählungen, wie sich die Beteiligung der Schweizerinnen nach dem 7. Februar 1971 realisiert und ausgewirkt hat. Es hat mich also auch geprägt, dass ich ein Abstimmungscouvert mit meinem Namen bekommen habe, wo ich eingeladen wurde, meine Meinung kundzutun. Unsere direkte Demokratie gibt mir viermal im Jahr die Möglichkeit, in den unterschiedlichsten Themen mitzuentscheiden. Unsere Gesellschaft geht davon aus, dass mündige Schweizerinnen und Schweizer das Volk bilden und das Sagen haben sollen.

Die unterschiedlichen Lebensrealitäten, Weltanschauungen, Hintergründe, Interessen kommen da zusammen. Keine einfache Sache, das unter einen Hut zu bringen und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen! Wo und wie ist es gelungen? Wo und wie sehe ich Verschönerungsbedarf? Alle diese Einschätzungen sind von Bedeutung und gehören in einen gemeinsamen Diskurs. Das hält die Demokratie wach und lebendig.

Als wir mit den Vorbereitungen auf das Jahr 2021 starteten, musste ich immer wieder erklären, warum denn die Frage nach der Beteiligung der Menschen in einer Demokratie wichtig sei. Sehr oft stellte ich fest, dass viele davon ausgehen, dass es bei uns ‘so ist’ und dass dies auch gar nicht in Frage gestellt wird.

Das Corona-Virus hat uns auch in dieser Frage eingeholt. Das ‘Demokratie denken’ hat dramatisch an Aktualität gewonnen. Wer hätte noch vor zwei Monaten denken können, dass die Schweizer Armee mobilisiert wird, der Bundesrat Notverordnungen erlässt und unsere Grenzen geschlossen werden? Die Parlamentssession wurde abgebrochen und eine neue Session unter völlig neuen organisatorischen Bedingungen eingeladen. Offen ist, wann nächste Abstimmungen und Wahlen durchgeführt werden können, weil die vorbereitende Meinungsbildung nur sehr eingeschränkt stattfinden kann.

Wir können also nicht einfach weitermachen, wie wir uns gewöhnt sind. Damit die Demokratie funktioniert, müssen wir neue Überlegungen anstellen und herausfinden, wie wir die Mitgestaltung des Volkes garantieren wollen. Damit wir gestalten können, müssen sich auch viele äussern. Ich muss wahrnehmen können, was unterschiedliche Meinungen sind, welche Argumente angeführt werden, wessen Interessen ins Spiel kommen. Wenn ich da aktuell die Sprechenden betrachte, fällt mir auf, dass es – nicht nur in der Schweiz – überwiegend Männer sind. Ausnahmen sind Frauen, die ein Amt bekleiden: unsere Bundespräsidentin, unsere Justizministerin, unsere Verteidigungsministerin, die Präsidentin der ErziehungsdirektorInnen-Konferenz, die Präsidentin der GesundheitsdirektorInnen-Konferenz, die Präsidentin des Nationalrates, die Staatssekretärin im Seco (habe ich eine Frau vergessen?). In den anderen Positionen finden sich Männer.

Zusätzlich sind Fachpersonen gefragt aus dem Gesundheits-, Versorgungs-, Wirtschafts-, Kultur-, Sport-, Transport-, Rechts-, …bereich. Leider sind es auch da in den meisten Fällen Männer, die ihre Haltung und Einschätzung präsentieren. Wichtig ist mir, dass wir in einen tatsächlichen Dialog kommen. Ich will auch Fachfrauen hören und ich will die Stimme der Frauen wahrnehmen können, wo – in ihrer ganzen Vielfalt – die Themen eingebracht werden, die auch für Frauen von Bedeutung sind. Ein gutes demokratisches Miteinander heisst auch, dass Männer dies wahrnehmen und einfordern. Das bringt unsere Demokratie vorwärts.

Ich freue mich über alle Beiträge von Frauen und Männern, die unser gemeinschaftliches Leben reflektieren. Das ist brandaktuell und spannend. Bis zum 50 Jahre-Jubiläum des Frauenstimmrechts am 7. Februar 2021 hat unsere Demokratie noch viel zu leisten: Wir wollen gemeinsam eine Zukunft mit Corona haben. Dazu brauchen wir die Energie und die Ideen von allen.

Bleiben Sie gesund. Denken Sie Demokratie weiter.